Der zweite Frühling kommt mit der Vernetzung

 Der zweite Frühling kommt mit der Vernetzung

Für 507 Mark hat Robert Bosch die Drehmaschine 1887 gekauft. Bild: Bosch

Der Traum vom ewigen Leben ist so alt wie die Menschheit. Noch gibt es keine wirklichen Lösungen auf diesem Weg. Außer vielleicht den Rat sich dem Fortschritt nicht zu verschließen und immer offen für neue Entwicklungen zu sein. Dann kann man bis ins hohe Alter fit bleiben. So wie die mehr als 100 Jahre alte Drehmaschine, die nach ihrem langen Arbeitsleben im Hause Bosch jetzt fit gemacht wurde für das Zeitalter von Industrie 4.0.

Sie ist 129 Jahre alt, noch pedalbetrieben und ein Prachtstück dessen, was man heute wohl als Industrie 1.0 bezeichnen würde. Und sie hat eine gewisse Prominenz, denn schließlich hat Unternehmensgründer Robert Bosch ab 1887 noch persönlich an der 300 Kilogramm schweren, gusseisernen Drehbank gearbeitet. Unter anderem wurden darauf Teile für den Magnetzünder gefertigt, jenem Produkt, das dem Unternehmen Ende des 19. Jahrhunderts zum Durchbruch verhalf. Nun hat Bosch die historische Drehbank auf einen Schlag aus dem Museum ins Industrie 4.0-Zeitalter katapultiert.

Wichtige technische Unterstützung lieferte dabei das neue IoT (Internet of Things) Gateway aus dem eigenen Haus. Das vernetzte System kombiniert Sensorik, Software sowie eine IoT-fähige Industriesteuerung und ermöglicht damit die Zustandsüberwachung einer Drehbank, auch wenn diese schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat. „Unser weltweit einmaliger Aufbau zeigt, dass selbst älteste Maschinen mit dem IoT Gateway schnell und einfach vernetzt werden können“, sagte Dr. Werner Struth, in der Bosch-Geschäftsführung unter anderem für die Industrietechnik und die Fertigungskoordination verantwortlich, in Stuttgart. Damit erschließe Bosch auch Betreibern älterer Maschinenparks die Vorteile der vernetzten Industrie.

Auch ältere Maschinen lassen sich vernetzen

Viele im Handwerk oder in der Fertigung genutzte Maschinen haben gegenwärtig noch keine Industrie 4.0-Anbindung. Das liegt unter anderem an fehlenden Sensoren, nicht vorhandener Software oder der fehlenden Anbindung an IT-Systeme des Unternehmens – alles wesentliche Voraussetzungen für die vernetzte Fertigung. Allein in Deutschland sind weit mehr als zehn Millionen Maschinen betroffen. „Global betrachtet ist das ein Milliardenmarkt für Retrofit-Lösungen wie das Bosch-IoT-Gateway“, erläutert Struth. Die Industrie brauche aber vernetzte Maschinen, wenn sie nachhaltig Erfolg haben solle. Genau das leiste das IoT Gateway, schnell und flexibel. Bosch zeige damit, wie Betreiber älterer Produktionsanlagen ihre Maschinen vernetzen, dadurch in Echtzeit überwachen und somit optimieren können. Das ermögliche etwa die vorausschauende Wartung und reduziere somit Ausfallzeiten bei gleichzeitig steigender Produktivität.

Der technische und wirtschaftliche Hintergrund für das IoT-Gateway liegt in den Innovationszyklen im Maschinenbau, die sich von denen in vielen anderen Branchen unterscheiden. Einmal angeschaffte Maschinen bleiben oft über Jahrzehnte im Einsatz. Sie lassen sich nur mit hohem Aufwand und mit hohen Kosten an neue Anforderungen anpassen. Das ist der Grund dafür, dass ein großer Teil des weltweit installierten Maschinenparks gegenwärtig noch ohne Anbindung an die vernetzte Fertigung ist. Der Bedarf für sogenannte Retrofit-Lösungen zum Nachrüsten für die vernetzte Fertigung ist riesengroß. Bosch selbst bildet dabei keine Ausnahme. „Wir setzen das IoT-Gateway selbst ein und sparen damit Geld“, beschreibt Dr. Werner Struth. Über die Tochter Bosch Rexroth werden diese Lösung ab Herbst auch den Kunden angeboten. Der Fachöffentlichkeit wird das IoT-Gateway zur Messe SPS IPC Drives vom November auf dem Messegelände in Nürnberg vorgestellt.

Nachrüstung amortisiert sich schon nach 18 Monaten

Im Bosch-Werk Homburg haben Ingenieure mit dem IoT-Gateway zum Beispiel einen Prüfstand für Hydraulikventile aus dem Jahr 2007 vernetzt. Dank neuer Sensoren, die die Qualität des eingesetzten Öls überwachen, lässt sich der Zeitpunkt für den nötigen Ölwechsel nun weitaus genauer bestimmen als zuvor. Das spart Zeit, Geld und schont die Umwelt. Im konkreten Fall hatte sich das Nachrüsten mit dem IoT-Gateway bereits nach 18 Monaten amortisiert. Im nächsten Schritt sollen 22 weitere Prüfstände und später noch weitere Maschinen bei Bosch nachgerüstet werden. Außer dem Gateway bietet Bosch auch die nötige Software an, um Daten zum Beispiel in der Bosch-IoT-Cloud zu analysieren, aufzubereiten und darzustellen.

Das IoT Gateway wird – je nach Anwendung – um Sensoren erweitert, die an der nachzurüstenden Maschine angebracht werden. Diese erfassen etwa Temperatur, Druck, Vibration, Stromverbrauch, Ölqualität, Neigungswinkel, Drehgeschwindigkeit oder andere Parameter. Die Software übersetzt die Daten in Echtzeit in ein Format, das sich in bestehenden Produktionsumgebungen eingliedern lässt – und fungiert dabei laut Dr. Volker Struth „wie ein nimmermüder Simultanübersetzer für die Industrie 4.0“. Das IoT-Gateway muss hierfür nicht programmiert, sondern über einen Browser lediglich konfiguriert werden. Das verkürzt die Inbetriebnahme drastisch. Hierbei nutzt Bosch unter anderem die kürzlich präsentierte, neue und offene Maschinensprache PPMP (Production Performance Management Protocol).

Sensoren erkennen für das menschliche Auge unsichtbare Abweichungen

Die museale, nun „Industrie 4.0-getunte“ Drehbank verfügt nach der „Frischzellenkur“ über wesentliche Merkmale der vernetzten Fertigung. Das gilt für die zur ständigen Qualitätssicherung benötigte Prozessüberwachung genauso wie für die fortlaufende Zustandsüberwachung („condition monitoring“), um ungeplante Ausfallzeiten zu verhindern. Für die Prozessüberwachung erfassen Sensoren unter anderem die Drehzahl des Werkstücks, denn zu hohe oder zu niedrige Schnittgeschwindigkeiten verschlechtern die Fertigungsqualität beim Drehen von Metall und können im schlimmsten Fall das Werkzeug beschädigen. Dank der von Sensoren am IoT-Gateway erfassten und übertragenen Daten erkennt der Bediener am Fußpedal jederzeit auf einem Monitor, ob er schneller oder langsamer treten muss, um die optimale Drehzahl einzuhalten.

Zudem erkennt die jetzt vernetzte Drehbank selbst schleichende Veränderungen am Antrieb. Mit zunehmendem Alter kann beispielsweise der lederne Treibrieben zwischen dem Antriebsrad und der Spindel mit dem Werkstück durchrutschen. Für das menschliche Auge bleibt das zunächst unsichtbar. Sensoren erkennen aber schon Abweichungen die im Prozentbereich liegen. Ist ein vorgewählter Schwellenwert erreicht, zum Beispiel ein Durchrutschen von zwei Prozent, sendet das vernetzte System automatisch eine Nachricht an den zuständigen Instandhalter. Der wechselt den Riemen innerhalb einer vorgegebenen Zeit aus. So verhindern die Sensoren, das Gateway und die Software den ungeplanten Ausfall der jetzt Industrie 4.0-fähigen Drehbank.

Maschinen sind teuer und müssen effizient genutzt werden

Robert Bosch hatte die Drehbank im Februar 1887 gekauft und sie war vermutlich bis 1901 im Einsatz. Umgerechnet auf heutige Verhältnisse entspricht der damalige Kaufpreis von 507 Mark etwa 30 000 bis 40 000 Euro – für den kleinen Betrieb, den Robert Bosch erst 1886 gegründet hatte, war das eine beträchtliche und auf Dauer gerechnete Investition. „Daran hat sich bis heute nichts geändert: Maschinen sind teuer und müssen – egal ob bei Bosch oder in anderen Unternehmen – so effizient wie möglich genutzt werden“, ist Struth überzeugt. Das Vernetzen sei dabei eine entscheidende Hilfe. (ig)