Aufschwung geht an hoch verschuldeten Städten vorbei

 Aufschwung geht an hoch verschuldeten Städten vorbei

Nicht in allen Städten und Gemeinden sprudeln die Steuereinnahmen so wie in München. Bild: München

Dank sprudelnder Steuereinnahmen kommen die Städte und Gemeinden in Deutschland beim Schuldenabbau voran: Unterm Strich erwirtschafteten die deutschen Kommunen im vergangenen Jahr einen Überschuss von 10,7 Milliarden Euro, die Gesamtverschuldung sank um 3,5 Prozent auf 138 Milliarden Euro. Von den größeren Städten mit mehr als 20.000 Einwohnern konnten immerhin 71 Prozent ihre Verschuldung reduzieren.

Am meisten profitieren allerdings finanziell gut aufgestellte Kommunen von der positiven Wirtschaftslage und den steigenden Einnahmen: Von den Städten mit einem niedrigen Schuldenstand von weniger als 1.000 Euro je Einwohner konnten 81 Prozent im vergangenen Jahr Schulden abbauen – um durchschnittlich zehn Prozent. Auf der anderen Seite gerieten Deutschlands hochverschuldete Kommunen im vergangenen Jahr noch tiefer in die Verschuldung: Die Gesamtschulden der zehn Städte mit der bundesweit höchsten Pro-Kopf-Verschuldung stieg im vergangenen Jahr weiter – um 0,7 Prozent.

Obwohl die Verschuldung der deutschen Städte nach wie vor auf sehr hohem Niveau liegt, wollen viele Kommunen offenbar den Sparkurs verlassen: Im Vergleich zum Vorjahr sank der Anteil der Städte, die Einschränkungen bei den öffentlichen Leistungen planen, von 25 auf acht Prozent. Im Jahr 2016 hatten sogar noch 38 Prozent der Kommunen Einsparungen bei kommunalen Leistungen angekündigt. Und auch bei der Erhöhung von Steuern und Gebühren zeichnet sich eine Trendwende ab: Nur noch 56 Prozent planen, kommunale Steuern oder Gebühren zu erhöhen – vor zwei Jahren lag der Anteil noch bei 82 Prozent, vor einem Jahr bei 76 Prozent.

Schuldenwachstum in den kommenden Jahren

Allerdings rechnen die befragten Kämmerer und Bürgermeister keineswegs mit einer langfristig positiven Entwicklung – im Gegenteil: Bereits im laufenden Jahr werden nach Einschätzung der Befragten die Ausgaben der Kommunen im Durchschnitt stärker steigen als die Einnahmen. Und fast jeder Zweite – 49 Prozent – rechnet mit einem Schuldenwachstum in den kommenden drei Jahren; nur 38 Prozent gehen von einer sinkenden Verschuldung aus. Das sind Ergebnisse einer aktuellen Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY, die auf einer Umfrage unter 300 deutschen Kommunen sowie einer Analyse der Verschuldungssituation aller 691 deutschen Kommunen mit mindestens 20.000 Einwohnern beruht.

Trotz der derzeitigen positiven Schuldenentwicklung sei die Finanzmisere der deutschen Kommunen längst nicht vorüber, betont Prof. Dr. Bernhard Lorentz, Partner bei EY und Leiter des Bereichs Government & Public Sector für Deutschland, die Schweiz und Österreich. „Im Gegenteil: Bei der aktuell hervorragenden Einnahmenentwicklung und dem niedrigen Zinsniveau müssten die Schulden eigentlich viel stärker sinken. Die Steuereinnahmen der deutschen Kommunen sind in den vergangenen fünf Jahren um 29 Prozent gestiegen, die Gesamteinnahmen sogar um 31 Prozent. Dennoch ist im selben Zeitraum der Schuldenberg nicht kleiner geworden, sondern um zwei Prozent gewachsen.“

Jede vierte Stadt muss zusätzliche Schulden machen

Immerhin 179 der 691 deutschen Städte mit mehr als 20.000 Einwohnern mussten im vergangenen Jahr zusätzliche Kredite aufnehmen und gerieten so tiefer in die Verschuldung – trotz der guten Konjunkturlage, einer historisch niedrigen Arbeitslosigkeit, niedrigen Zinsen und umfassenden Hilfen von Bund und Ländern zur finanziellen Entlastung der Kommunen.

Gerade die hoch verschuldeten Städte, die eine finanzielle Entlastung am nötigsten hätten, kommen trotz günstiger Rahmenbedingungen beim Schuldenabbau kaum oder gar nicht voran, beobachtet Lorentz. „Die Finanzkrise der Kommunen ist nicht vorüber – sie macht nur eine Pause. Noch steigen die Einnahmen stark – wenn aber die aktuelle konjunkturelle Hochphase vorüber ist, werden die Einnahmen wieder sinken, während die Ausgaben – vor allem die Sozialausgaben – weiter steigen werden. Für die hoch verschuldeten Städte ist zudem das Risiko von Zinserhöhungen eine Bedrohung, die alle bisherigen Sanierungsbemühungen zunichtemachen kann. Dann sind neue Schuldenrekorde programmiert, wenn nicht rechtzeitig umgesteuert und die Finanzierung der Kommunen auf eine neue Basis gestellt wird.“

„Viele Kommunen in strukturschwachen Gegenden stehen nach wie vor finanziell mit dem Rücken zur Wand“, sagt Lorentz. „Gerade sie werden den demografischen Wandel aufgrund der Abwanderung junger, gut ausgebildeter Bürger als erste zu spüren bekommen. Zurück bleiben häufig ältere und weniger gut ausgebildete oder arbeitslose Personen, die auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind.“ Steigende Sozialausgaben bei sinkenden Einnahmen seien die Folge, die Kluft zwischen armen und reichen Kommunen werde immer größer. Dieses strukturelle Problem sei schon lange bekannt – Lösungen aber immer noch nicht in Sicht, so Lorentz. „Die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission ‚Gleichwertige Lebensverhältnisse‘ wird sich auch mit dem Thema kommunale Altschulden beschäftigen. Die Erwartungen an die Kommission sind sehr hoch, denn dieses Problem muss dringend und bald gelöst werden, sonst haben diese Städte keine Perspektive.“

Dynamik bei Steuererhöhungen lässt deutlich nach

Obwohl fast jede zweite Kommune mit einem Anwachsen des Schuldenbergs rechnet, wollen nur noch acht Prozent der Kommunen neue Sparmaßnahmen einleiten. „Steigende Einnahmen haben den Handlungsdruck bei vielen Kommunen gesenkt. Zudem sind auch die Möglichkeiten, kommunale Leistungen abzubauen, begrenzt – ein Schwimmbad oder eine Bibliothek lässt sich nur einmal schließen. Viele finanzschwache Kommunen haben ihre freiwilligen Leistungen ohnehin inzwischen weitgehend reduziert, so dass an dieser Stelle kaum noch Einsparpotenziale bestehen“, erläutert Lorentz.

Aber auch bei kommunalen Steuern und Gebühren, die in den Vorjahren zum Teil massiv angehoben wurden, hat sich der Aufwärtstrend verlangsamt: So sinkt der Anteil der Kommunen, die die Friedhofsgebühren erhöhen wollen, von 33 auf 18 Prozent. Die Grundsteuerhebesätze sollen bei ebenfalls 18 Prozent der Städte steigen – im Vorjahr waren es 23 Prozent. Tiefer in die Tasche greifen müssen auch Eltern für die Betreuung ihrer Kinder in der Kita oder in Ganztagsschulen: 15 Prozent der Städte und Gemeinden wollen die entsprechenden Gebühren erhöhen – vor einem Jahr planten dies allerdings noch mehr als doppelt so viele Kommunen (33 Prozent). Eine Anhebung der Gewerbesteuer steht bei zehn Prozent der Kommunen auf der Agenda (2017: 14 Prozent). (ig)