Gewinnwarnungen auf Rekordniveau

 Gewinnwarnungen auf Rekordniveau

Der stärkste Zuwachs an negativen Prognosekorrekturen war im DAX zu verzeichnen: 17 Prozent der DAX-Konzerne mussten in den ersten sechs Monaten dieses Jahres ihren Ausblick nach unten anpassen. Bild: Börse Frankfurt

Trotz der guten Konjunkturentwicklung mussten im ersten Halbjahr dieses Jahres deutlich mehr börsennotierte Unternehmen in Deutschland ihre Prognosen nach unten korrigieren als im Vorjahreszeitraum: Die Zahl der Umsatz- oder Gewinnwarnungen stieg von 29 auf 42, und damit auf den höchsten Stand in einem ersten Halbjahr seit 2011, als die Analyse erstmals durchgeführt wurde. Das sind Ergebnisse einer aktuellen Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY, die veröffentlichungspflichtige Korrekturen an Gewinn- und Umsatzprognosen im Zeitraum 2011 bis Mitte 2018 untersucht. Für die Analyse wurden alle 307 Unternehmen aus dem Prime Standard der Frankfurter Börse betrachtet.

Jedes achte Unternehmen gab eine Warnung raus. Gleichzeitig hat sich die Zahl der positiven Korrekturen, bei denen die Unternehmen das Übertreffen ihrer bisherigen Prognosen ankündigen, von 106 auf 42 mehr als halbiert. Im gesamten Prime Standard haben im ersten Halbjahr 24 Prozent der Unternehmen mindestens einmal ihre eigene Prognose kassiert, wobei die SDAX- und DAX-Konzerne die meisten positiven Korrekturen aufwiesen – 20 beziehungsweise 17 Prozent der Unternehmen haben ihren Ausblick nach oben angepasst –, während bei Negativ-Korrekturen vor allem die DAX-Konzerne betroffen waren: 17 Prozent – also fünf Unternehmen – haben ihren Prognose im ersten Halbjahr nach unten revidiert.

Noch in der zweiten Hälfte des Vorjahres hatte sich die weltweite Konjunktur überraschend stark gezeigt, und viele Unternehmen hatten ihre Prognosen nach oben angepasst, so dass die Zahl der Aufwärtskorrekturen auf ein Rekordniveau stieg – nun schwingt das Pendel zurück, die Zahl der Umsatz- und Gewinnwarnungen nimmt deutlich zu. „Wir bewegen uns schon seit einiger Zeit am oberen Rand des Konjunkturzyklus – und es mehren sich die Anzeichen, dass eine Abkühlung bevorsteht“, erklärt Dr. Marc Förstemann, Partner bei EY in der operativen Restrukturierungsberatung.

Eindeutig nach unten zeigt demnach der Trend derzeit für Unternehmen aus der Autoindustrie, von denen jedes vierte im ersten Halbjahr eine Umsatz- oder Gewinnwarnung herausgab, während von keinem einzigen eine positive Korrektur veröffentlicht wurde. Umgekehrt überwogen bei Software-Unternehmen, Immobilienkonzernen und Telekommunikationsunternehmen eindeutig die positiven Korrekturen.

Vor allem weltweit tätige Unternehmen betroffen

Der stärkste Zuwachs an negativen Prognosekorrekturen war im DAX zu verzeichnen: 17 Prozent der DAX-Konzerne mussten in den ersten sechs Monaten dieses Jahres ihren Ausblick nach unten anpassen – im Vorjahreszeitraum hatte der Anteil nur bei drei Prozent gelegen. Im MDAX stieg der Anteil von vier auf acht Prozent, während im SDAX und im TecDAX jeweils nur noch acht statt zehn Prozent der Unternehmen eine Gewinn- oder Umsatzwarnung veröffentlichten.

„In den letzten Monaten haben vor allem stark im internationalen Wettbewerb stehende und im Ausland engagierte Unternehmen Probleme bekommen, die selbstgesteckten Ziele zu erreichen. Sie sind besonders betroffen von weltweiten geopolitischen Entwicklungen“, kommentiert Dr. Martin Steinbach, Partner und Leiter des Bereichs IPO and Listing Services bei EY. Die Unsicherheiten seien derzeit so groß wie schon lang nicht mehr. Der Handelskonflikt zwischen den USA und China führte inzwischen zu spürbaren Einbußen für exportorientierte deutsche Unternehmen.

Neue Herausforderungen für die Unternehmenssteuerung

„Unternehmen können sich als Antwort auf das neue Umfeld international breiter aufzustellen, um unabhängiger von Zöllen und Handelsschranken zu werden. Oder sie verstärken sich vor Ort durch den Zukauf ausländischer Unternehmen. Alle diese Strategien sind allerdings auch nicht ohne Risiko“, so Förstemann. Letztlich komme es für Unternehmen darauf an, ein funktionierendes Frühwarnsystem einzurichten, Entscheidungsprozesse zu beschleunigen, interne Strukturen flexibel zu halten und vor allem ihre Lieferketten und die Schnittstellen mit Zulieferern so anzupassen, dass schnelle Reaktionen auf unvorhergesehene Ereignisse möglich sind, betont Förstemann. „Die Herausforderung besteht darin, von der nach wie vor guten Konjunktur optimal zu profitieren und sich gleichzeitig auf einen möglichen Abschwung vorzubereiten. Gut vorbereitete Unternehmen haben die Notfallpläne bereits in der Schublade, und in vielen Fällen bereits mit dem Betriebsrat vereinbart.“

Management der Erwartungen bei Investoren wird immer wichtiger

„Nachdem es im vergangenen Jahr einen Rekord an positiven Prognosekorrekturen gab, haben wir im ersten Halbjahr des laufenden Jahres so viele Warnungen wie noch nie gesehen“, berichtet Förstemann. „Das zeigt das Maß an Unsicherheit und die enorme Spanne der Volatilität, mit der die Unternehmen umgehen müssen.“

„Konjunkturelle Unsicherheiten und Marktentwicklungen sind die wichtigsten Faktoren, die die Unternehmen derzeit im Auge behalten müssen“, ergänzt Steinbach. „Nach drei guten Jahren, in denen jeweils deutlich mehr positive als negative Korrekturen gezählt wurden, hielten sich im ersten Halbjahr erstmals seit 2014 wieder positive und negative Prognoseänderungen die Waage. Das deutet auf eine Trendwende hin – im laufenden Jahr wird die Zahl der Gewinn- und Umsatzwarnungen voraussichtlich auf einen neuen Höchststand klettern und die Zahl der positiven Korrekturen übertreffen.“

In diesem Umfeld werde eine langfristige Planung gerade für Unternehmen, die weltweit tätig sind, zu einer echten Herausforderung – sowohl im operativen Geschäft und der Unternehmenssteuerung, als auch für die Finanzmarktkommunikation, so Steinbach. Das Erwartungsmanagement bei Analysten und Investoren gewinne derzeit an Bedeutung. Es sei wichtig, im ständigen Dialog mit den wichtigsten Stakeholder zu stehen, um Überraschungen möglichst zu vermeiden und starken Kurseffekten vorzubeugen.

Positive Korrekturen werden kaum honoriert

Besonders stark waren die Kursausschläge zuletzt bei Unternehmen, die ihren Ausblick nach unten korrigieren mussten: Im Durchschnitt sanken die Kurse am Tag der Gewinnwarnung um sieben Prozent und konnten sich auch in der Folgewoche nicht wieder erholen – im Gegenteil: Eine Woche nach Bekanntgabe der Gewinnwarnung lag der Aktienkurs im Durchschnitt um neun Prozent niedriger als vor der Ad-hoc-Meldung. Wenn hingegen Unternehmen ein Übertreffen ihrer Gewinnprognosen ankündigten, führte das im Schnitt zu einem Anstieg des Aktienkurses um nur zwei Prozent – sowohl am Tag der Bekanntmachung als auch noch eine Woche später.

„Positive Korrekturen werden an der Börse derzeit kaum honoriert, während Gewinnwarnungen zu deutlichen Einbußen führen. Tief stapeln lohnt sich also für die Unternehmen nicht, zu optimistische Prognosen werden hingegen kräftig abgestraft“, fasst Steinbach zusammen. (ig)