Deutschen Schlüsselindustrien droht Strukturwandel

 Deutschen Schlüsselindustrien droht Strukturwandel

Trotz guter Konjunktur glauben 88 Prozent der befragten Restrukturierungsexperten, dass ein branchenspezifischer Strukturwandel für Anpassungsbedarf sorgt. Bild: Stahlbau Ihnen

Die deutsche Wirtschaft ist im Konjunkturhoch, die Unternehmen blicken optimistisch in die Zukunft. Doch sie sollten darüber nicht vergessen, dass sie mit wachsenden Herausforderungen konfrontiert sind: Digitalisierung, Fachkräftemangel, nachlassende Innovationskraft sowie protektionistischen Tendenzen – in vielen Branchen ist ein Strukturwandel dringend nötig. Doch viele Unternehmen machen sich das nicht rechtzeitig bewusst, bzw. sind darauf nicht ausreichend vorbereitet. Besonders betroffen sind die deutschen Vorzeigebranchen Automobil und Maschinenbau, so die neue Roland Berger-Studie „Sturmtief voraus! Wo Unternehmen trotz guter Konjunktur mit sektoralen Krisen rechnen müssen„.

„Die gute Konjunktur führt leicht zu Trägheit“, warnt Falco Weidemeyer, Senior Partner bei Roland Berger und Leiter des Bereichs Corporate Performance. „Dabei sollten Unternehmen in guten Zeiten ihre Geschäftsmodelle hinterfragen, Business-as-usual ist gerade jetzt gefährlich. Davon sind auch die Studienteilnehmer überzeugt: Trotz guter Konjunktur glauben 88 Prozent der befragten Restrukturierungsexperten, dass ein branchenspezifischer Strukturwandel für Anpassungsbedarf sorgt. Dazu kommt der technologische Wandel (86 Prozent) und der globale Wettbewerb (75 Prozent). Vor allem deutsche Vorzeigeindustrien wie Automobil (95 Prozent), Anlagenbau (87 Prozent) und Handel (84 Prozent) werden Veränderungen stark zu spüren bekommen.

„Die Veränderungen bergen auch Wachstumschancen“, ist Sascha Haghani, Co-Geschäftsführer in der DACH-Region und globaler Leiter des Competence Center Restructuring und Corporate Finance von Roland Berger, überzeugt. Allerdings gelte das nur für Unternehmen, die Entwicklungen aktiv mitgestalteten. Doch genau das gelinge vielen Unternehmen noch nicht. Die Gründe hierfür seien laut der Befragten Managementfehler (90 Prozent), neue Wettbewerber (78 Prozent) sowie disruptive Technologien (74 Prozent). Unternehmen müssten schneller auf unvorhergesehene Veränderungen reagieren können, nur so könnten sie zukunftsfähig bleiben.

In ihrer Studie haben die Experten von Roland Berger sechs wichtige Industriebranchen in Deutschland genauer analysiert.

Konsumgüter und Handel: Umbruch voll im Gange

Im Handel und Großhandel läuft der Umbruch laut Roland Berger schon länger, er ist aber bei Weitem noch nicht abgeschlossen. Disruptive digitale Entwicklungen hätten vor allem die Geschäftsmodelle klassischer Händler erodiert. Hier hieße es schnell gegenzusteuern, um den Wettlauf um die Kunden nicht zu verlieren. Denn die wollten heute parallel über On- und Offline-Kanäle einkaufen. Bis 2022 werden die E-Commerce-Umsätze nach Einschätzung der Analysten weltweit um 65 Prozent wachsen – auf rund 2,6 Billionen Dollar. Investitionen in digitale Technologien seien daher unerlässlich.

Automobilindustrie: Im Jahrhundertwandel

Trends wie E-Mobilität, autonomes Fahren oder neue Mobilitätskonzepte wie Car Sharing und Ride Hailing bedrohen zunehmend das traditionelle Geschäftsmodell der Autoindustrie, das bisher auf dem Verkauf von Fahrzeugen beruht, glauben die Studienmacher. Die Branche müsse sich umfassend für eine neue Generation von Mobilitätsnutzern öffnen und passende datengetriebene Geschäftsmodelle entwickeln. Dass hier Investitionen nötig seien, haben auch Venture Capital-Investoren erkannt: Ihre Investitionen in Mobilität seien von 2016 auf 2017 um 130 Prozent gestiegen.

Energiewirtschaft: Sinkende Margen, hohe Verschuldung

Die Energieversorger kämpfen seit Jahren mit sinkenden Gewinnmargen im Erzeugungsgeschäft. Waren es vor zehn Jahren noch über 20 Prozent (EBITDA), sind es heute nur noch sechs Prozent. Dazu kommt nach den Studienergebnissen eine hohe Verschuldung: Jedes fünfte Unternehmen sei bereits nicht mehr kreditwürdig. Zwar habe die Branche bereits reagiert, doch Trends wie eine zunehmend dezentralisierte Energieerzeugung, die Abkehr von fossilen Brennstoffen oder die Sektorenkopplung erforderten weitere Anpassung. Netzbetreiber sollten nach Empfehlung von Roland Berger neue Geschäftsfelder erschließen, etwa Ladeinfrastrukturen, dezentrale Erzeugungstechniken und Mobilitätsplattformen.

Maschinenbau: Trügerische Sicherheit durch gute Lage

Die zahlreichen Hidden Champions des deutschen Maschinenbaus sind relativ gut durch vergangene Krisen gekommen. Auch im aktuell schwierigen politischen und wirtschaftlichen Umfeld behauptet sich die Branche weiter. Doch nach Ansicht der Studienmacher steigt der Druck. Abnehmer brauchten weniger Kapazitäten, Additive Manufacturing und neue Wettbewerber nähmen Marktanteile weg. Potenzial böten Service-Angebote und neue Einsatzbereiche für vorhandene Technologien. Dafür brauche es eine gute Datenbasis und entsprechende Ressourcen.

Finanzindustrie: Gefangen in dauerhafter Transformation

Die Banken kämpfen nach den Auswertungen der Studiendaten mit innovativen FinTechs, anspruchsvolleren Kunden, Margendruck und wachsenden regulatorischen Anforderungen. Die Branche braucht daher nach Überzeugung der Analysten echte Innovation, um ihre Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln. Hilfreich seien strategische Kooperationen mit externen Partnern, optimierte Prozesse sowie eine schnellere und flexiblere Organisation.

Gesundheitswesen: Revolution rückt näher

Das Internet mit seinem Angebot an hochwertigen medizinischen Informationen verändert die Rolle von Patienten und Ärzten genauso wie datengestützte Diagnosen auf Basis Künstlicher Intelligenz. Herausforderungen wie der demografische Wandel, Fachkräftemangel und der Zwang zu Effizienz kommen laut der Roland-Berger-Studie dazu. Daher müssten die Akteure Patientenbedürfnisse besser analysieren, maßgeschneiderte Angebote entwickeln und verstärkt in digitale Geschäftsmodelle investieren. (ig)