Pharmabranche sammelt Kräfte

 Pharmabranche sammelt Kräfte

Im insgesamt ruhigen M&A-Markt gab der knapp 30 Milliarden US-Dollar teure Kauf des Schweizer Arzneimittelherstellers Actelion durch den US-amerikanischen Konzern Johnson & Johnson den Ton an. BIld: SmallBizClub

Die Pharma- und Medtechunternehmen haben 2017 vorsichtig abgewartet und sich mit Übernahmen zurückgehalten. Hauptgründe waren zu hohe Preise für mögliche Übernahmekandidaten sowie die politischen Unsicherheiten in den USA – allen voran die genaue Ausgestaltung der im Januar in Kraft getretenen US-Steuerreform. Daher ging das Mergers & Acquisitions-Volumen 2017 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 20 Prozent auf 203 Milliarden US-Dollar zurück.

In dem insgesamt ruhigen M&A-Markt gab der knapp 30 Milliarden US-Dollar teure Kauf des Schweizer Arzneimittelherstellers Actelion durch den US-amerikanischen Konzern Johnson & Johnson den Ton an. Für rund 24 Milliarden US-Dollar schlug der US-Konzern Becton Dickinson zu und kaufte den ebenfalls aus den USA stammenden Medizintechnikhersteller C.R. Bard. Mit der Zurückhaltung der Branche insgesamt dürfte es im laufenden Jahr allerdings vorbei sein. Die Feuerkraft – also die Mittel, die Unternehmen für Zukäufe mobilisieren können – ist im Vergleich zum Vorjahr um knapp zehn Prozent auf 1,34 Billionen US-Dollar gestiegen. Das ist der dritthöchste Wert seit Bestehen des Reports.

Das sind Ergebnisse einer Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young), für die Finanzdaten der größten Pharma-, Biotech- und Specialty Pharma-Unternehmen untersucht wurden. Der „Firepower Index“ von EY misst die Kaufkraft von Biopharma-Unternehmen bei M&A-Transaktionen auf der Grundlage ihrer Bilanzstärke und Marktkapitalisierung. Die Kaufkraft eines Unternehmens steigt demnach mit seiner zunehmenden Marktkapitalisierung oder einer Zunahme seiner liquiden Mittel beziehungsweise einem Rückgang seiner Verschuldung.

Volumen von deutlich über 200 Milliarden US-Dollar erwartet

„Hohe Marktpreise und insbesondere die bevorstehende Steuerreform in den USA haben die Pharmakonzerne 2017 abwarten lassen“, erklärt Gerd Stürz, Leiter des Bereiches Life Sciences bei EY. „Mit dieser Lauerstellung dürfte es 2018 aber vorbei sein“. Die Pharmaunternehmen würden getrieben von der rasanten technologischen Entwicklung und den sich ebenso schnell verändernden Kundenerwartungen. Gleichzeitig drängten große Technologiekonzerne in den Life-Sciences-Markt ein. Die bisher angesammelte Feuerkraft dürften einige Konzerne deshalb für strategische Übernahmen einsetzen, um im Wettbewerb bestehen zu können. „Wir erwarten, dass das M&A-Volumen 2018 wieder deutlich über 200 Milliarden US-Dollar steigen wird“, so Stürz weiter.

Siegfried Bialojan, Leiter des EY Life Science Center in Mannheim, ergänzt: „Angesichts der geänderten Kundenerwartungen könnten wir auch einige sektorenübergreifende Megafusionen beobachten“. Die Medtech- und Pharmaunternehmen müssten sich vom Wettbewerb absetzen. Es gehe künftig auch darum, datengestützte Plattformen zu entwickeln, die den Patienten Mehrwert brächte. Mit Hilfe von Big Data könnten dann Therapien personalisiert und effektiver für die Kunden entwickelt werden.

Auffällig ruhig haben sich 2017 insbesondere die Big-Pharma-Konzerne verhalten. So ging das Dealvolumen von 143 Milliarden US-Dollar im Vorjahr auf nur noch 71 Milliarden US-Dollar zurück, wobei im Jahr 2017 ein Mega-Deal wie die immer noch nicht abgeschlossene Übernahme von Monsanto durch Bayer fehlte. Allein diese Übernahme erreichte mit 66 Milliarden US-Dollar fast den Wert aller Big-Pharma-Deals 2017 zusammen. Und auch die Specialty-Pharma-Unternehmen legten im vergangenen Jahr mit Ausgaben im Volumen von sieben Milliarden US-Dollar eine spürbare Pause ein. Weniger investierten sie zuletzt 2009. 2016 kauften sie noch für 44 Milliarden US-Dollar zu.

Insbesondere Medtech-Feuerkraft auf Rekordniveau

Die Zurückhaltung im Jahr 2017 hat die Kassen für 2018 wieder etwas gefüllt. Die Branche ist mit ihrer Gesamt-Feuerkraft in Höhe von 1,34 Billionen US-Dollar auf große Übernahmen oder Fusionen gut vorbereitet. Insbesondere die Medtech-Unternehmen kommen mit etwa 256 Milliarden US-Dollar auf einen höheren Betrag als je zuvor. Lediglich bei den Spezialpharma-Unternehmen ging das Volumen erneut zurück – um 24 Prozent auf 26 Milliarden US-Dollar. „Der Kapitalmarkt hat die Medtech-Unternehmen endlich wieder auf dem Schirm“, stellt Bialojan fest. Sowohl beim Venture Capital als auch an der Börse habe sich die Finanzierung der Medtechs im vergangenen Jahr deutlich verbessert. Das zeige das Investorenvertrauen in die Innovationsfähigkeit der Medtechs. Die Spezialpharma-Unternehmen müssten sich offenbar noch erholen. Sie hätten noch 2014 und 2015 im Verhältnis gesehen am meisten in Zukäufe investiert und einen großen Teil ihrer Feuerkraft aufgebraucht. Insgesamt könnte die Branche 2018 aber auf große Shoppingtour gehen. Bereits im Global Confidence Barometer von EY im Dezember sagten 60 Prozent der Life-Sciences-Manager, dass sie in den kommenden 12 Monaten Akquisitionen tätigen wollten. Im April 2017 sagten dies nur 46 Prozent.

Technologiekonzerne setzen Branche unter Druck

Der Druck, sich durch anorganisches Wachstum im Wettbewerb zu behaupten, nimmt zudem zu. Technologieriesen wie Amazon oder die Google-Mutter Alphabet dringen inzwischen ebenfalls in den Life-Sciences-Markt ein – und bringen riesige Mengen an Kapital mit. Allein die sieben größten Technologiekonzerne kommen mit annähernd 1,7 Billionen US-Dollar auf mehr Feuerkraft als die 65 größten Life-Sciences-Unternehmen zusammen.

„Das Geld für Fusionen und Übernahmen ist da und der Wille auch“, stellt Stürz fest. „Auf dem wichtigen Pharmamarkt USA stimmen nach der in Kraft getretenen Steuerreform die Rahmenbedingungen wieder. Und der Druck durch die Technologieunternehmen, die immer druckvoller auf den insgesamt stark fragmentierten Life-Sciences-Markt drängen, wird stärker.“ Zudem sei die rasante technologische Entwicklung ein wichtiger Treiber für die M&A-Aktivitäten. „Es reicht heutzutage nicht mehr nur, ein gutes Produkt zu haben“. Das Sammeln und Auswerten von Daten über Big-Data-Systeme sowie das Internet der Dinge verändere die gesamte Wertschöpfung – und genau hier träten neue Konkurrenten wie Amazon oder Alphabet auf den Plan. Je mehr Daten, desto besser – deswegen sei Größe auch so wichtig. Über Zukäufe oder Joint-Ventures müssten die Pharmakonzerne künftig Gesundheitsplattformen aufbauen, die sich auf den Kunden fokussierten. Am Ende könnten davon alle profitieren: Die Unternehmen erschlössen sich neue Umsatzquellen und sparten durch eine bessere Datenlage Geld. Die Patienten erhielten effektivere und vor allem individueller auf sie zugeschnittene Produkte. (ig)