Produktivitätskrise mit Digitalisierung überwinden

 Produktivitätskrise mit Digitalisierung überwinden

Die Lösung der Produktivitätskrise liegt nach Auffassung von McKinsey in einer fortschreitenden Digitalisierung sowie weiteren Stärkung von Nachfrage und Investitionstätigkeit. Bild: IPSER

Fast zehn Jahre nach der Finanzkrise verharrt das Produktivitätswachstum in den hochentwickelten Volkswirtschaften auf niedrigem Niveau: Weltweit erreichte es nach jüngsten Zahlen nur 1 Prozent und zeigte sich damit kaum erholt vom historischen Tief bei 0,5 Prozent jährlich nach der Finanzkrise (2010 bis 2014). Ein Jahrzehnt zuvor (2000 bis 2004) hatte der Zuwachs noch 2,4 Prozent pro Jahr erreicht.

Deutschland liegt aktuell mit 0,9 Prozent Produktivitätswachstum im Mittelfeld der untersuchten Industrieländer. Dies sind einige Ergebnisse der Studie „Solving the productivity puzzle: The role of demand and the promise of digitization” des McKinsey Global Institute (MGI). Für die Studie hat das MGI sieben Länder (Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Schweden, Großbritannien und die USA) untersucht, die für 65 Prozent der Bruttowertschöpfung aller hochentwickelten Volkswirtschaften stehen. Die größten Einbrüche verzeichneten Großbritannien mit einem um 2,5 Prozentpunkte sowie die USA mit einem um 3,8 Prozentpunkte geringeren Produktivitätswachstum als noch zu Beginn des Jahrtausends. Die Lösung dieser Produktivitätskrise liegt in einer fortschreitenden Digitalisierung sowie weiteren Stärkung von Nachfrage und Investitionstätigkeit: Bis zu 2 Prozent Produktivitätswachstum jährlich sind in den kommenden zehn Jahren durch einen verstärkten Einsatz digitaler Tools in Unternehmen und Verwaltung möglich, sofern Nachfrage und Investitionstätigkeit sich weiter erholen.

Produktivität sichert Wohlstand

„Um den Wohlstand auch in Zukunft zu sichern, ist es entscheidend, die Produktivität zu steigern – gerade vor dem Hintergrund der alternden Bevölkerung in Deutschland“, kommentiert Jan Mischke, MGI-Partner und Co-Autor der Studie. Das Wachstum des deutschen Bruttoinlandsprodukts sei in den vergangenen Jahren geprägt gewesen von einer merklichen Ausweitung der geleisteten Arbeitsstunden – etwa der höheren Erwerbsquoten von Frauen und Arbeitnehmern über 60. Das lasse sich jedoch nicht beliebig ausdehnen – daher müsse nun viel stärker das Produktivitätswachstum in den Vordergrund rücken.

Die MGI-Analyse zeigt: Zwei Drittel aller Industriesektoren in Deutschland haben ein geringeres Produktivitätswachstum als noch vor zehn Jahren. So nahm die Produktivität im Energiesektor zwischen 2010 und 2014 sogar ab. Im Handel ging das jährliche Produktivitätswachstum von 4,5 Prozent auf 2,7 Prozent zurück.

Ein weiteres Ergebnis der Studie: Die Entwicklung des Produktivitätswachstums in den Industrieländern vollzog sich in Wellen. In den 1990er Jahren kurbelten der vermehrte Einsatz von Computern und eine Auslagerung von Produktion in Länder mit geringeren Lohnstückkosten die Produktivität im weltweiten Durchschnitt an. Dieser Effekt flachte jedoch bis 2005 ab. In Deutschland blieb die Produktivität zwischen Anfang der 1990er und 2005 hingegen relativ stabil. Durch die überdurchschnittliche globale Vernetzung der Produktion und die geringere Bedeutung der Technologiebranche kam es in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends in Deutschland nur zu einem Rückgang der Produktivität um jährlich 0,2 Prozentpunkte. Global waren es 0,8 Prozentpunkte Rückgang pro Jahr. Nach der Finanzkrise wurden Investitionen in Produktionsgüter massiv zurückgefahren, was global für ein um weitere 0,9 Prozentpunkte niedrigeres Produktivitätswachstum sorgte. In Deutschland machte diese Entwicklung überdurchschnittliche 1,2 Prozentpunkte aus.

Umstellung ganzer Geschäftsmodelle

Die nächste positive Welle dürfte mit der weiteren Digitalisierung kommen, so die MGI-Forscher. Sie verspricht hohe Produktivitätszuwächse, die sich allerdings erst mit Verzögerung bemerkbar machen. So war es auch bei früheren technischen Fortschritten. Denn ein umfassender Einsatz erfordert die Umstellung ganzer Geschäftsmodelle mit entsprechenden Anlaufkosten und Risiken. Dennoch können durch digitale Tools wie Advanced Analytics und künstliche Intelligenz langfristig viele Aufgaben effizienter erledigt werden: Jährlich 1,0 bis 1,5 Prozentpunkte zusätzliches Produktivitätswachstum allein durch Digitalisierung sind im Idealfall möglich.

Um ein Produktivitätswachstum auf dem Niveau der Jahre vor der Finanzkrise von mehr als 2 Prozent pro Jahr zu erreichen, ist dem MGI zufolge zweierlei erforderlich: Erstens eine stärkere Investitionstätigkeit sowie Stabilisierung der Nachfrage und zweitens eine schnellere Digitalisierung. Um die Nachfrage zu stabilisieren und Investitionen zu steigern, sind stärkere staatliche Investitionen in Infrastruktur und Bildung, eine wirksame Entlastung einkommensschwacher Konsumenten sowie eine intensivere Förderung von Aus- und Weiterbildung vonnöten. (ig)