Deutsche Ausbauziele in Gefahr

 Deutsche Ausbauziele in Gefahr

Um der steigenden Nachfragen und dem Arbeitskräftemangel zumindest teilweise zu begegnen, müsste die Produktivität der Bauwirtschaft in Deutschland spürbar ansteigen. Bild: Bigstockfoto

Die Regierungen in Bund und Ländern haben sich für Infrastruktur und Wohnungsbau in Deutschland bis 2030 ambitionierte Ziele gesetzt – etwa den Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr in Ballungsgebieten für insgesamt rund 90 Milliarden Euro jährlich plus weitere 2 Milliarden Euro in den nächsten Jahren für den sozialen Wohnungsbau. Außerdem wurden schon im letzten Herbst von 2019 an Investitionen von rund 11 Mrd. Euro jährlich in Verkehrswege, Glasfaser- und Stromnetze beschlossen. Doch eine aktuelle Analyse der Unternehmensberatung McKinsey & Company zeigt: Die Investitionsziele sind in der vorgesehenen Zeit nicht ohne grundlegende Änderungen zu erreichen.

Die Studie nennt als Haupthindernisse unter anderem das im internationalen Vergleich niedrige Leistungs- und Produktivitätsniveau des deutschen Bausektors, den geringen Digitalisierungsgrad sowie zu komplexe Vergabe- und Genehmigungsverfahren in den Verwaltungen. Das Problem werde durch den Fachkräftemangel noch verschärft: Schon heute sind im Baugewerbe knapp 37.000 unbesetzte Stellen gemeldet, bei einer Gesamtzahl von knapp 891.000 Beschäftigten. McKinsey zufolge müsste die Zahl der Beschäftigten um etwa 15 Prozent auf mehr als eine Million Personen klettern, um den erwarteten Anstieg des Bauvolumens zu realisieren. Damit fehlen absehbar 130.000 Fachkräfte im Baugewerbe. Und nicht nur im Baugewerbe fehlen Fachkräfte, sondern auch in den Kommunalverwaltungen. Bundesweit ist die Zahl der Angestellten, die sich dort mit Baufragen beschäftigen, in den vergangenen fünf Jahren um fast 10 Prozent gesunken.

Die Bauindustrie gelangt an ihre Kapazitätsgrenzen

Deutschland erlebt seit mehreren Jahren einen wahren Bauboom. Das Bauvolumen ist seit 2010 von 237 Milliarden Euro um knapp 30 Prozent auf 305 Milliarden Euro im Jahr 2016 gestiegen. Der Anteil der öffentlichen Investitionen daran ist mit 36 Milliarden Euro (12 Prozent jedoch gering und seit Jahren nahezu stagnierend. „Die Bauindustrie hat darauf mit einer Umschichtung ihrer Kapazitäten weg von der öffentlichen Nachfrage – vor allem im Tiefbau – reagiert“, erläutert Sebastian Stern, Seniorpartner bei McKinsey und Leiter Public Sector bei der Unternehmensberatung. „Die Konsequenz daraus: Staatlichen Auftraggebern fällt es inzwischen schwer, die bereitgestellten Haushaltsmittel zu verplanen und zu beauftragen.“ Deutschlands Ausbauziele seien in Gefahr.

Um der steigenden Nachfragen und dem Arbeitskräftemangel zumindest teilweise zu begegnen, müsste die Produktivität der Bauwirtschaft in Deutschland spürbar ansteigen. Das ist nach den McKinsey-Analysen aber nicht erkennbar. Studien des McKinsey Global Institute (MGI) belegen: In Deutschlands Baubranche erhöhte sich die operative Produktivität zwischen 1995 und 2015 nur um durchschnittlich 0,3 Prozent pro Jahr. Zum Vergleich: Die Produktivität der gesamten Volkswirtschaft stieg im selben Zeitraum um 1,3 Prozent jährlich, die des verarbeitenden Gewerbes sogar um 2,0 Prozent pro Jahr.

Auch beim Thema Digitalisierung hat die Branche Nachholbedarf. Das MGI hat den Grad der Digitalisierung in 28 europäischen Ländern und 22 Branchen untersucht. Das Ergebnis: In Deutschland hat das Baugewerbe einen ähnlich geringen Digitalisierungsgrad wie Landwirtschaft, Fischerei oder Gastronomie. „Digitale Methoden und schlanke Prozesse, die in anderen Branchen die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre vorangetrieben haben, sind in der deutschen Bauindustrie kaum angekommen – im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, wo zumindest der Einsatz moderner Planungssoftware im Bau weit verbreitet ist“, berichtet Sebastian Stern.

Produktivität um bis zu 40 Prozent erhöhen

Die McKinsey-Analyse erläutert detailliert Maßnahmen und Handlungsfelder, in denen sich die Effizienz der öffentlichen Hand und die Produktivität der Baubranche verbessern lassen. In Summe seien dadurch Effizienzsteigerungen in einer Größenordnung von bis zu 40 Prozent möglich: etwa durch die breitere Anwendung von seriellem Bauen, bei dem schwerpunktmäßig mit vorgefertigten Bauelementen- und -modulen gearbeitet wird, und Lean-Construction-Maßnahmen zur optimalen Verteilung von Ressourcen und Equipment. Digitale Technologien sollten außerdem standardmäßig Planung und Bau unterstützen – beispielsweise bei der Bauüberwachung und Fortschrittskontrolle. Genehmigungsverfahren in Deutschland könnten zudem nach dem Vorbild des neuen „Vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens“, das die Prüfaufgaben der Bauaufsichtsbehörde auf das Wesentliche reduziert, flächendeckend deutlich verkürzt werden. (ig)