Silicon Valley gibt in der Robotik neuen Takt vor

 Silicon Valley gibt in der Robotik neuen Takt vor
Im Februar hat die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) bei der Bundesregierung Alarm geschlagen: Deutschland verpasse den Zukunftsmarkt Servicerobotik. Insbesondere die USA grabe der deutschen Wirtschaft derzeit das Wasser ab. Stimmt das?
Die gute Nachricht vorweg: Beim Thema Industrierobotik ist Deutschland im internationalen Vergleich gut aufgestellt, befindet EFI in ihrem jüngsten Jahresgutachten. Allerdings sehen die Experten hierzulande ein großes Defizit im Bereich Serviceroboter – sowohl was deren Forschung und Entwicklung als auch deren Anwendung betrifft. Und dies, obwohl nach aktuellen Prognosen spätestens 2025 weltweit so viele gewerbliche Service- wie Industrieroboter verkauft werden sollen.
Das große Manko liege darin, dass die Förderung der Robotik in Deutschland „noch ausgesprochen fragmentiert, mit geringen Mitteln und mit Fokus auf industrielle Anwendungen“ erfolge. EFI fordert daher „die Förderung der Robotik grundlegend zu überdenken und Kräfte zu bündeln“. Der VDMA widerspricht deutlich: Deutschland nehme eine herausragende Position in der Robotik ein – und die Industrierobotik sei schließlich Grundlage vieler Entwicklungen in der Servicerobotik. „Der Knickarmroboter aus der Autofabrik hält längst Einzug in Operationssäle, Gewächshäuser und viele andere Bereiche. Gerade deutsche Roboterhersteller sind hier Vorreiter“, sagt Patrick Schwarzkopf, Geschäftsführer des Fachverbands Fachverband Robotik + Automation.
Gleichwohl registriert auch der VDMA, dass gerade in den USA die Investitionen in die Servicerobotik stark zugenommen haben. Insbesondere im Silicon Valley spielt die Musik, getragen von neuen Playern, die vor ein paar Jahren noch niemand auf dem Radar hatte: Allen voran der Internetkrösus Google, der vor zwei Jahren gleich acht Robotik-Firmen übernommen hat.
Investment-Interesse wächst
Entscheidenden Anteil an der Wiedergeburt der Robotikindustrie in den Vereinigten Staaten hat die Non-Profit-Organisation Silicon Valley Robotics, die die Innovationskraft und die Kommerzialisierung von Robotiktechnologien vorantreibt. Das Cluster ging 2010 mit rund 30 Firmen an den Start – darunter etablierte Player wie Adept, Forschungsinstituten wie SRI International, aber auch Robotik-Quereinsteiger wie dem Bosch Research and Technology Center (RTC) oder das Start-up Accelerator des US-Softwarehauses Citrix.
„Damals war das Interesse von Software und Investment Community an der Robotik hier sehr gering“, erinnert sich Geschäftsführerin Andra Keay. Heute, nur sechs Jahre später, gibt es in der Bay Area laut Keay hunderte von Robotik-Start-ups – nicht zuletzt durch die intensive Arbeit des Clusters, welches das Ziel hat, die Robotik „raus aus dem Entwicklungslabor rein in das Leben zu bringen“. Für Keay steht fest: „Das Silicon Valley mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung in der Entwicklung von Software ist die ideale Basis für die Robotik heute, denn für mich ist Robotik Unternehmenssoftware auf Beinen oder Rädern.“
Diese Einschätzung teilt Martin Hägele, Abteilungsleiter Roboter- und Assistenzsysteme am Fraunhofer IPA: „Software nimmt mittlerweile eine zentrale Schlüsselrolle in der Entwicklung ein. Sie steuert nicht nur den Roboter selbst, sondern sorgt auch dafür, dass er Teil des Internet of Things beziehungsweise der Industrie 4.0 wird.“ Um die Innovationskraft deutscher Robotikanbieter im Softwarewarebereich sorgt er sich allerdings nicht: „Hier entsteht gegenwärtig sehr viel Neues – sowohl bei traditionellen Unternehmen als auch im Start-up-Umfeld.“
Positiv auf die hohe Innovationsdynamik im Softwarebereich hat sich nach Ansicht von Hägele der Open-Source-Gedanke ausgewirkt: Teile der Software werden mit der Robotik-Community und Partnern geteilt. Ein Beispiel dafür ist das Robot Operating System (ROS), ein Open-Source-Betriebssystem hauptsächlich für Serviceroboter – das bezeichnenderweise an der Uni Stanford im Silicon Valley entwickelt wurde.
Start-ups brauchen Freiheit
„Um Robotik-Start-ups in Deutschland das Leben zu erleichtern, bräuchten wir mehr solcher Standardkomponenten oder Referenzarchitekturen, damit wir nicht immer wieder das Rad neu erfinden müssen, sondern uns der einfachen Anwendbarkeit zuwenden können“, betont Jörg Heckel, CEO des Ludwigsburger Start-ups Zenoway, das Robotik für die Intralogistik entwickelt. Die Software ist auch hier der Schwerpunkt.
Zenoway agiert unter dem Dach der Robert Bosch Start-up GmbH, die Plattform für neue Ideen ist. Ziel der geförderten Start-ups ist es dabei, entweder ein eigenständiges Bosch Unternehmen zu werden oder in einem bestehenden Geschäftsbereich innerhalb des Konzerns aufzugehen. „Das Unternehmertum steht ganz klar im Vordergrund, das Produkt muss sich am Markt verkaufen lassen“, so Heckel. „Deshalb bekommen wir Unterstützung in vieler Hinsicht. Dies beginnt bei Pitches vor internen Expertengremien und führt über die Entwicklung von Geschäftsmodellen bis hin zu Events zur Vernetzung mit anderen Bereichen innerhalb des Konzerns.“ Dabei lasse Bosch den Start-ups große Freiheit. Neue Methoden und Prozesse können ausprobiert werden; zudem wirke sich die räumliche Distanz zu anderen Bosch-Standorten positiv aus.
Diese Prinzipien hat auch Silicon Valley Robotics tief verinnerlicht, doch liegt der Fokus hier ganz klar auf Investoren-Akquise: Die Start-ups müssen laut Keay auf der Schulbank lernen, was Investoren interessiert und wie sie deren Erwartungen treffen: „Sie erfahren, wie man einen Pitch angeht, wie man seine Ideen kurz und knackig auf einer Seite darstellt, wie man seinen Markt angeht und wie man skalierbare Geschäftsmodelle entwickelt. Die Kommerzialisierungsstufe ist derzeit die große Schwierigkeit im Robotik-Umfeld.“
In den USA fließen Milliarden
Das Konzept von Silicon Valley Robotics geht auf – zumindest was die Investorenseite betrifft: 2015 wurde laut dem US-Robotik-News-Dienst Hizook mehr als eine Milliarde Dollar Risikokapital in Start-ups investiert – so viel wie in den fünf Jahren davor zusammen. Und in den ersten drei Monaten dieses Jahres investierte General Motors diese Summe alleine in das erst 2013 gegründete Startup Cruise Automation, das Pkws mit einem Kit in autonom fahrende Fahrzeuge verwandelt.
Cruise Automation ist Mitglied bei Silicon Valley Robotics. Das Beispiel zeigt nach Ansicht von Keay, dass der amerikanische Traum Wirklichkeit werden kann, wenn man an seine Ideen glaubt: „Das Beispiel Cruise Automation zeigt, dass Startups mit disruptiven Ideen mit großen etablierten Unternehmen wie hier etwa im Automobilbereich konkurrieren können.“
Von solchen Risikokapital-Summen und Investoren können die meisten Start-ups in Deutschland nur träumen. „Die Förderung im Robotik-Bereich ist in Europa prinzipiell sehr gut, aber eine Venture-Capital-Kultur wie in den USA ist bei uns in Deutschland noch nicht so ausgeprägt“, blickt Zenoway-CEO Heckel ein wenig neidisch über den großen Teich. Der Augsburger Roboterriese Kuka investiert seit einem Jahr zwar auch in Start-ups. Das erste Investment ging an ein junges Unternehmen mit Fokus auf Echtzeit-Cloud-Computing – ausgerechnet im Silicon Valley.
Keine Kultur des Scheiterns
Lena Nietbaur, Sprecherin des Gründerzentrums ESA Business Incubation Centre (BIC) Bavaria am Anwendungszentrum Oberpfaffenhofen (AZO), sieht neben den Geldtöpfen noch weitere gravierende Unterschiede zu den USA: „Wir haben in Europa keine Kultur des Scheiterns, das ist bei uns negativ belegt. In den USA hingegen erhalten Unternehmensgründer häufig nur dann Geld von Investoren, wenn sie bereits ein- oder zweimal zuvor mit ihren Ideen gescheitert sind – und aus diesen Erfahrungen gelernt haben.“
Das BIC unterstützt Start-ups finanziell und technisch. Die Hälfte der 15 aktuell geförderten Startups sind dem Robotik- und Automations-Umfeld zuzuordnen. „Dadurch bekommen sie auch Zugang zu Testeinrichtungen, die sie sich selbst nicht leisten könnten“, erklärt Nietbaur. Darüber hinaus sorgt das AZO dafür, dass die Ideen der Jungunternehmen in der Öffentlichkeit bekannt werden, um so Türen für potenzielle Investoren und Partner zu öffnen.
So hat es auf der Automatica 2014 erstmals einen Start-up Robotics Award verliehen. Nach dem Erfolg der Initiative wird dieses Angebot mit einem Gemeinschaftsstand und dem Start-up World Award in diesem Jahr auf der Messe in München ausgeweitet. Wie viele Kontakte die ausstellenden Robotik-Start-ups dort generieren können, bleibt abzuwarten. Silicon Valley Robotics hat mit seiner Robot Block Party, an der Anfang April 40 Firmen teilnahmen, die Latte schon mal recht hoch gehängt: 2000 (!) Besucher wurden gezählt.
Concierge mit IBM-Intelligenz
Einer der Stars war dabei der humanoide Roboter Pepper, der Mimik und Gestik von Menschen analysieren kann. Hersteller ist das Unternehmen Aldebaran, das kürzlich mit dem Pepper-Bruder Noa für Furore sorgte: Der knapp 60 cm große, rund 7000 Euro teure Roboter ist im Hilton McLean Hotel in Virginia/USA als Concierge Connie unterwegs, ausgestattet mit der Künstlichen Intelligenz des IBM Computersystems Watson: Es versteht die menschliche Sprache, lernt durch Interaktion und analysiert die Daten – und kann seine Antworten ständig verbessern.
Dabei gibt Connie vor allem Antworten auf komplexe Fragen der Gäste etwa nach Restaurants oder Sehenswürdigkeiten in der Nähe des Hotels. Selbst personalisierte Reiseempfehlungen kann Connie geben – und das Hotelpersonal bei solchen zeitraubenden Fragen entlasten, so die Hoffnung. Darüber hinaus will die Hotelkette mit den Daten, die der digitale Portier sammelt und speichert, im Laufe der Zeit den Service verbessern.
Interessant dabei: Aldebaran ist kein Newcomer aus dem Silicon Valley, sondern stammt aus Paris. Für Fraunhofer-IPA-Abteilungsleiter Hägele belegen solche Beispiele, „dass es um die europäische Robotikbranche nicht schlecht bestellt ist“.
„Das Silicon Valley mit seiner langen Softwareerfahrung ist die ideale Basis für die Robotik, denn Robotik ist Unternehmenssoftware auf Beinen oder Rädern.“ Andra Keay, Silicon Valley Robotics
Sabine Koll, Journalistin in Böblingen