2017 wird ganz im Zeichen der Digitalisierung stehen

 2017 wird ganz im Zeichen der Digitalisierung stehen
„Connecting systems for intelligent production“: Unter diesem Slogan wird die weltgrößte Werkzeugmaschinen-Messe vom 18. bis 23. September 2017 stattfinden. Dementsprechend viel (Ausstellungs-)Platz soll Trendsettern und Innovatoren der digitalen Transformation eingeräumt werden, um sich und ihre Produkte zu präsentieren – die verfolgten Ansätze sind allesamt spannend.

„Die wichtigste Aufgabenstellung für Hersteller und Anwender von Werkzeugmaschinen ergibt sich aus der Digitalisierung. Exakt dieses Thema adressiert die diesjährige EMO Hannover “, erklärt EMO-Generalkommissar Carl Martin Welcker, zugleich Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Die Messe trägt für ihn dazu bei, Hürden auf dem Weg zur digitalen Transformation zu nehmen. Welcker bezeichnet Industrie 4.0 zudem auch als Mindset: Eine neue, „digital ausgerichtete“ Denkweise solle die Mitarbeiter auf Ideen bringen, wie sie Industrie 4.0 in die Tat umsetzen können – um im besten Falle marktfähige Lösungen wie die folgenden zu entwickeln.

Ein ständiger Entwicklungsprozess

„In Sachen Industrie 4.0 befinden wir uns kontinuierlich in der Weiterentwicklung“, konstatiert Klaus Eberts, Abteilungsleiter Key Account bei der Grob-Werke GmbH & Co. KG, Mindelheim. „Einen Großteil der Entwicklung übernimmt die interne Industrie 4.0-Abteilung.“ Bereits entwickelte Produkte wie „Grob4Analyze“ oder „Grob4Pilot“ dienten zur Produktions- und zur Verfügbarkeitssteigerung. Die nächsten Projekte, die sich mit Machine Learning, virtuellen Welten sowie Energieeffizienz und Ressourcenschonung beschäftigen werden, sind laut Eberts bereits in Planung.

Das Unternehmen hat nicht nur für sich, sondern auch für Kunden und weitere Partner eine eigene Software namens Grob-Net4Industry mit zehn einzelnen Modulen entwickelt, die Produktionsanlagen digitalisiert und vernetzt. Doch nicht nur die Technik, sondern auch die Ergonomie spielen bei Industrie 4.0 eine immer wichtigere Rolle – Grob stellt dazu das besondere HMI-Bedienkonzept „Grob4Pilot“ vor (HMI: human machine interface; Mensch-Maschine-Schnittstelle) – eine multifunktionale Bedieneroberfläche und die Unterstützung spezifischer Applikationen ermöglichen eine papierlose Produktion sowie eine ergonomische und intuitive Maschinenbedienung.

„Durch revolutionäre Eingabegeräte wird der Maschinenbediener bei Benutzerführung und Steuerung eine neue Ebene wahrnehmen“, meint Markus Frank, Abteilungsleiter Grob-Net4Industry. „Das neuartige Produkt Grob4Pilot wurde in Kooperationen mit Anwendungstechnikern, Werkern, Designern und Softwareingenieuren gemeinsam entwickelt.“

Trendscouting zu E-Mobilität, Leichtbau und Industrie 4.0

Die Gebr. Heller Maschinenfabrik GmbH aus Nürtingen geht Industrie 4.0 bereits seit 2010 an – also lange, bevor der heute allgegenwärtige Begriff geprägt wurde. Das Unternehmen hat hierzu einen separaten Entwicklungsbereich namens „Development New Business & Technologies“ eingerichtet. Deren Aufgabe: Neue Technologien unter die Lupe zu nehmen, um daraus zukünftige Geschäftsfelder zu entwickeln. Im Mittelpunkt stehen seit sieben Jahren das gezielte Trendscouting zu den Themen Kohlendioxid- und Verbrauchsreduzierung bei Verbrennungsmotoren, E-Mobilität, Leichtbau und Industrie 4.0. Kernaspekte der Digitalisierung sind ergänzende Maschinenfunktionalitäten, Dienstleistungen on demand und erweiterte Servicemöglichkeiten.

Den Ansatz erklärt Bernd Zapf, Bereichsleiter von Development New Business & Technologies: „Unter dem Dach Heller4Industry bündeln wir alle Aktivitäten, die im Zusammenhang mit Industrie 4.0 und der Digitalisierung der Prozesskette stehen. Ein Ziel in der Zerspanung ist es, die Produktivität weiter zu steigern und damit einen Mehrwert für Kunden zu schaffen. Die Steigerung der overall equipment effectiveness (OEE) – für uns das Produkt aus den Größen Verfügbarkeit, Produktivität und Qualität – gelingt dann, wenn die Maschine in Einklang mit den Randbedingungen steht.“

Industrie 4.0 heißt für die Schwaben aber auch Verbesserung der Bedienung: Dazu entstand eine einfache, bedienerorientierte Benutzeroberfläche, die dem Werker Touch-Funktionen anbietet, die sonst typisch für Smartphones oder Tablets sind. Ein weiterer Baustein ist das Heller Services Interface, das Fertigungs- und Instandhaltungsprozesse transparent macht. Das Modul bildet die Basis für Auswertungen und Statistiken und unterstützt den Anwender dabei, Maschinenausfallzeiten zu senken. Dem Instandhalter hilft die Visualisierung, gezielte Informationen über den Zustand von Achsen, Spindeln und anderen Baugruppen zu erhalten: Er ermittelt per Predictive Maintenance den aktuellen Verschleißzustand, um dann präventive Maßnahmen zur Vermeidung ungeplanter Stillstände zu starten.

Das Werkzeug und sein digitaler Zwilling

„Der Weg in Richtung Industrie 4.0 wird ohne die Daten der Fertigungshilfsmittel ins Leere führen“, konstatiert Götz Marczinski, Geschäftsführer der Cimsource GmbH aus Aachen. „Die Fähigkeit, diese Daten zu liefern und mit ihnen umzugehen, wird in Zukunft wettbewerbsnotwendig sein.“ Eines der wichtigsten Fertigungshilfsmittel ist beim Zerspanen zweifellos das Werkzeug; mit Blick auf die Datentransparenz steht und fällt Industrie 4.0 jedoch mit dem digitalen Abbild des realen Werkzeugs. Dieser so genannte digitale Zwilling mit allen relevanten Daten hilft bei der Simulation der Zerspanung, dem „Bestücken“ einer virtuellen Werkzeugmaschine oder beim Digitalisieren der Wertschöpfungskette in der Fabrik (Supply Chain).

Inspiriert wurde der Maschinenbauingenieur und Absolvent der RWTH Aachen vom dortigen Konzept des „Internet of Production“ und der damit einhergehenden Idee von einer einheitlichen, durchgängigen Datenstruktur („single source of truth“). Als eine Art „Machining-Google“ entstand die Plattform ToolsUnited, deren neueste Funktionen das Unternehmen auf der EMO Hannover vorstellen wird. Dazu zählt beispielsweise die Möglichkeit für Werkzeughersteller, ein eigenes Portal zu betreiben, über das sie mit ihren Lieferanten direkt kommunizieren.

„Wir verstehen uns als Händler des ‚Internet of Production‘, der den Werkzeugherstellern bei der Datenaufbereitung und dem Erstellen der digitalen Zwillinge hilft, die wir dann zu einem Standardformat zusammenführen“, sagt Marczinski. „Der Endabnehmer erhält auf diese Weise eine single source.“ Nutzer von ToolsUnited finden mit Hilfe der Datenbank den passenden Webshop und dort ihre regionalen Lieferanten. Weil ToolsUnited jedoch keine Handelsplattform ist, läuft der Kauf über die jeweiligen Web-Shops.

Doch Cimsource will beim digitalen Zwilling noch einen Schritt weiter gehen: Die Aachener wollen zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme (IMS) aus Duisburg und dem Heinz-Nixdorf-Institut Paderborn eine Technologie entwickeln, um die Kennwerte der Zerspanungsprozesse zuverlässiger zu erfassen. „Die Daten aus der Maschinensteuerung werden eingegeben und lassen sich über eine Identifikationsnummer dem jeweiligen Werkzeuge zuordnen“, erklärt der Geschäftsführer. Diese Daten müssten allerdings immer direkt in Verbindung mit dem Werkzeug verfügbar sein, also auch nach dem Wiederaufbereiten des Werkzeugs, etwa dem Nachschliff. Dazu wiederum dürften die Daten nicht im Werkzeug gespeichert werden, vielmehr müsse eine Referenz auf eine entsprechende Lebenszyklusakte in der Cloud eingerichtet werden.

Die Aachener entwickeln nun eine neue Technologie, die auf hochfrequenter Funkidentifikation (RFID: radio frequency identification) basiert. Gedacht ist an einen winzigen Chip mit Funkantenne, der Einsatz- und Werkzeugdaten sendet und empfängt. Die Lösung steht und fällt mit einer Technologie, die den Chip während der Herstellung so in das Werkzeug integriert, dass er auch nach der Wiederaufbereitung noch funktioniert. „Auf diese Weise ließe sich ein Schwarm Daten sammelnder Werkzeuge verwirklichen, die Big Data für die Plattform ToolsUnited erzeugen, in der dann mit Hilfe von Data-Mining-Algorithmen Lösungen für Zerspanungsaufgaben entstehen“, meint Marczinski. „Doch noch suchen wir vorrangig nach einer Methode, maschinenlesbare Identnummern auf die Werkzeuge zu bringen.“

Digitale Messtechnik macht die Arbeit komfortabler

Industrie 4.0 umfasst auch die Smart Factory, in der automatisches, schnelles und bedienerfreundliches Messen oberste Priorität besitzt: Die Bandbreite reicht von der Handmesstechnik mit Funkübertragung bis zur automatisierten elektronisch geregelten Messmaschine mit Roboterbeladung. „Unsere digitalen Bügelmessschrauben, Messschieber und -uhren machen die tägliche Arbeit in der Qualitätssicherung von Fertigungsbetrieben deutlich komfortabler“, sagt Utz Wolters, Leiter des Branchen- und Applikationsmarketing bei der Mahr GmbH, Göttingen. „Diese Messgeräte verfügen über das bedienerfreundliche Funksystem ‚Integrated Wireless‘, das die Bewegungsfreiheit des Anwenders erhöht.“ Beim Messen an Bearbeitungsmaschinen oder an größeren Werkstücken entfalle daher beispielsweise das störende Arbeiten mit Datenkabeln.

Die Möglichkeit der Datenübertragung per Funk vereinfache zudem die Erfassung und Dokumentation von Messdaten. Die Daten lassen sich passend zur Messaufgabe per Knopfdruck an die Messgeräte oder über Fernsteuerbefehle an einen Funkempfänger am Computer senden. Wie Fertigungsmesstechnik im Zusammenspiel mit Industrie 4.0 funktioniert, werden die Göttinger auf der EMO Hannover unter anderem bei der Weltpremiere ihrer neuen, leistungsstärksten „funkenden Bügelmessschraube“ vorführen.

EMO 2017: Innovative Lösungen für Industrie 4.0

Mehr über diese und andere Innovationen rund um die digitale Transformation erfahren Besucher auch bei den zahlreichen Vorträgen – zum Beispiel auf dem VDMA-Forum „Innovative Lösungen für Industrie 4.0“ (Halle 4, Stand D44) oder dem Forum im Rahmen der Sonderschau „Industrie 4.0 Area“ (Halle 25, Stand B60). Im Mittelpunkt stehen Referate zu konkreten technischen Umsetzungen aus den Bereichen Präzisionswerkzeuge, Mess- und Prüftechnik, Forschung und Werkzeugdatenaustausch. Dabei wird es unter anderem darum gehen, wie intelligente Spannsysteme arbeiten und wie sich durch Vernetzung von Werkzeugen und Software Fertigungsprozesse simulieren, Werkzeuglebenszyklen überwachen und Kosten senken lassen.

Nikolaus Fecht ist Fachjournalist und in Gelsenkirchen ansässig.

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