Die Herausforderungen eines „harten Austritts“

 Die Herausforderungen eines „harten Austritts“

Falls die Brexit-Verhandlungen nicht bald vorankommen, droht 2019 der ungeregelte Austritt. Foto: Vchalup – Fotolia

Der Austritt Großbritanniens aus der EU verunsichert die Wirtschaft: Steht am Ende der Verhandlungen eine UK-Mitgliedschaft im binnenmarkt-nahen erweiterten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) – oder kommt es zum ungeregelten Austritt ohne Folgeabkommen? Unternehmen sollten sich beizeiten auf diese Möglichkeit vorbereiten.

Beobachter hierzulande sind sich weitgehend einig: Wenn Großbritannien die EU ohne Abkommen verlässt, wird es wirklich haarig. Die Änderungen würden Unternehmen mit Verbindungen auf die britischen Inseln vor einige Herausforderungen stellen.

Zölle & Steuern

Derzeit werden Waren zwischen der EU und Großbritannien zollfrei ein- und ausgeführt; auch eine Einfuhrumsatzsteuer bei Importen aus dem Vereinigten Königreich wird nicht erhoben. Das könnte sich bei einem „harten“ Brexit“ aber ändern. Die Implikationen sind vielfältig und berühren den Kern unternehmerischen Handelns. Stark vereinfacht: Würde UK zukünftig als „normales“ Drittland gelten, würden Ein- bzw. Ausfuhren wohl teurer und Lieferzeiten länger werden.

Handel & E-Commerce

Großbritannien ist einer der wichtigsten Zielmärkte für den deutschen Mittelstand. Das könnte sich nach dem Brexit ändern, denn Zölle & Steuern verteuern den Warenaustausch. Hinzu kommen gegebenenfalls längere Lieferzeiten durch eine verzögerte Zollabfertigung.

Verlässt Großbritannien den Binnenmarkt, sind die Lieferbedingungen zu prüfen und anzupassen, um längere Lieferzeiten zum Kunden zu berücksichtigen. Gleichzeitig sollten etwaige Umsatzeinbußen durch den verteuerten Warenaustausch einkalkuliert werden. Exportorientierte Unternehmen könnten Auslastungslücken vermeiden, indem sie bereits jetzt nach neuen Zielmärkten suchen.

Logistik & vertikale Lieferketten

Vertikale Lieferketten sind besonders vom Brexit betroffen: Erfolgt ein Teil der Produktion in Großbritannien, erhöhen Zölle und Steuern die Produktionskosten. Dabei spielt es keine Rolle, ob die beteiligten Unternehmen verbunden oder lediglich Partner sind – der Brexit kennt (nach aktullem Stand) keine Privilegien für Konzerne. Ein weiteres Problem stellen zudem auch hier zeitliche Verzögerungen bei der Zollabfertigung dar.

Unternehmen, die im Rahmen von Just-in-Time-Konzepten nur mit einer geringen Bevorratung arbeiten, sollten daher ihre Supply-Chain-Strategie in Bezug auf das UK-Geschäft überdenken. Mehr Puffer wäre ein probates Mittel, um das Risiko schwankender Lieferzeiten zu begrenzen. Grundsätzlich ist aber sicher auch zu prüfen, ob angesichts steigender Kosten eine Produktionsverlagerung langfristig sinnvoll erscheint.

Neue Produktvarianten

Nach dem Brexit wird Großbritannien die Zugangsregeln für den heimischen Markt wieder weitgehend selbst bestimmen: Unternehmen könnten dadurch gezwungen sein, britische Produktvarianten zu entwickeln, um das regionale Zulassungsverfahren zu bestehen. Die Produktion würde sich dadurch weiter verteuern.

Steuern, Zölle, Einfuhr- und Zulassungsverfahren sind externe Faktoren, die sich durch unternehmerische Entscheidungen nicht beeinflussen lassen. Gelingt es nicht, etwaige Kostensteigerungen auszugleichen, bleibt wiederum kaum etwas anderes übrig, als neue Zielmärkte zu suchen.

Vertragliche Vereinbarungen

Da sich mit dem Brexit britische Gerichte nicht mehr an europäisches Recht halten müssen, besteht die Gefahr, dass sich die Rechtslage der beiden Regionen langfristig auseinanderentwickelt. Für europäische Unternehmen wird es damit schwerer, eigene Rechtspositionen durchzusetzen, wenn der zugrundeliegende Vertrag ganz oder teilweise auf britischem Recht basiert. Es könnte sinnvoll sein, bestehende vertragliche Vereinbarungen mit britischen Firmen zu überprüfen – und gegebenenfalls deutsches (letztlich EU-konformes) Recht zu vereinbaren.

Datenschutz

Nach dem Brexit gelten die einheitlichen Regeln für den Datentransfer innerhalb der EU für Großbritannien nicht mehr. Personenbezogene Daten dürfen laut Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) jedoch nur in ein Drittland übermittelt werden, wenn dort ein angemessenes Datenschutzniveau gewährleistet ist – dabei spielt es keine Rolle, ob die Daten innerhalb eines Konzerns geteilt oder anderen Unternehmen übermittelt werden. Die Datenschutzproblematik betrifft auch Cloud-Dienste, die Daten in Großbritannien speichern. Hier kann es passieren, dass ein britisches Rechenzentrum die EU-Vorgaben zur Compliance künftig nicht mehr erfüllen wird.

Für Unternehmen könnte dies bedeuten, keine personenbezogenen Daten mehr in Großbritannien speichern zu dürfen; daher ist es sinnvoll, frühzeitig nach Alternativen zu suchen. Dies gilt gleichermaßen für die Datenspeicherung auf Unternehmensrechnern wie auch in Rechenzentren von Cloud-Anbietern.

Fazit – Entwicklungen sollten beobachtet werden

Egal wie die Verhandlungen ausgehen: Der Brexit dürfte das Leben vieler exportorientierter Unternehmen erschweren – selbst wenn am Ende ein „weiches“ Resultat steht, müssen doch zahlreiche Änderungen aufwendig implementiert werden. Es empfiehlt sich daher, die Verhandlungen aufmerksam zu verfolgen und – sobald konkrete Ergebnisse vorliegen – eine betriebliche Strategie zu entwickeln. Praktisch ist es, wenn zumindest die Unternehmenssoftware bereits auf alle Eventualitäten vorbereitet ist: Von der Option, Großbritannien mit nur einem Mausklick in ein Drittland zu „konvertieren“ und den gesamten Datenbestand automatisch entsprechend abzuändern, kann die EU-Kommission nur träumen. Zumindest für den Bereich des Enterprise Ressource Plannings (ERP) sind Unternehmen hier mit den richtigen Softwarelösungen eindeutig im Vorteil.

(om)