Daten als Treibstoff der Öl- und Gasindustrie

 Daten als Treibstoff der Öl- und Gasindustrie

Datenanalytik und Machine Learning lässt sich phasenweise für die Anlagenoptimierung nutzen. Bild: AspenTech

Angesichts harten Wettbewerbs, geringen Margen, volatiler Preise und drohenden Handelskriegen können sich Betreiber schlichtweg keine langen Stillstandzeiten ihrer Anlagen leisten. Vorausschauende Instandhaltung (Predictive Maintenance) und Machine Learning sind hier Schlüsselwörter. Wie die erfolgreiche Umsetzung in der Praxis aussehen kann zeigt das italienische Öl- und Energieunternehmen Saras.

Die Fähigkeit, Störungen und Probleme bereits im Vorfeld eines Maschinenausfalls zu erkennen und zu verhindern, eröffnet Unternehmen erhebliches Einsparungspotential. Fällt in einer Ölraffinerie beispielsweise ein Kompressor aus, kann das den Betreiber je nach Länge der Ausfallzeiten schnell mehreren Millionen Euro kosten. Ein Silberstreifen am Horizont ist hier die kontinuierliche Weiterentwicklung zukunftsweisender Technologien – von der Cloud und dem IIoT über Datenanalytik und High-Computing bis hin zu Machine Learning und KI.

Insbesondere in der Wartung und Instandhaltung sind die Aussichten vielversprechend, mit intelligenten Lösungen Probleme anzugehen, die bislang nicht oder nur schwer lösbar waren. Digitale Transformation ist hier nicht nur eine Option. Sie ist ein Muss für Unternehmen, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Vorteile sind dabei klar: Betreiber gewinnen über die kontinuierliche Datenanalyse tiefe Einblicke in das Anlagenverhalten, können die Lebensdauer von Anlagen und Maschinen verlängern, die Kapitalrendite maximieren und den Gewinn steigern.

 

Pilotprojekt in der Raffinerie

Soweit das theoretische Zukunftsversprechen. In der Praxis stehen viele Betreiber und Hersteller jedoch vor einer ganz anderen Herausforderung, wenn es um die digitale Transformation ihrer Prozesse und Anlagen geht: Wo anfangen? Wie lassen sich die vielfältigen Initiativen priorisieren, vorantreiben und umsetzen, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren und auf halber Strecke aufgeben zu müssen?

Saras Group, einer der größten Raffineriebetreiber in Europa, entschied sich für einen pragmatischen wenn auch hoch effektiven Ansatz, um Machine Learning Technologien einzusetzen. Das italienische Unternehmen betreibt eine Raffinerie im Mittelmeerraum, die pro Tag 300.000 Barrel pro Tag Erdöl fördert. Im Rahmen einer Digitalisierungsinitiative wurde nach Möglichkeiten gesucht, die Zuverlässigkeit ihrer kapital- und anlagenintensiven Raffinerieaktivitäten zu erhöhen. In einem Pilotprojekt testete Saras unterschiedliche Lösungen zunächst für vier vorabdefinierten Geräteeinheiten, ehe es eine Anwendung auswählte und mit Unterstützung des Schwesterunternehmens Sartec flächendeckend in der Raffinerie implementierte. Die Entscheidung fiel auf Aspen Mtell von AspenTech.

 

Fehlersignaturen erlernen und übertragen

Die Asset Performance Management-Lösungen nutzt Machine Learning sowie „Failure Agents“, um eigenständig Muster innerhalb der Betriebsdaten zu erkennen und eine frühe und genaue Vorhersage von Störungen, Ausfällen und Ausfallzeiten zu treffen. Dabei ist jeder Agent auf eine spezielle Signatur einer Anlage ausgerichtet. Die Algorithmen basierend auf dem realen Anlagenverhaltens und unter unterschiedlichen Bedingungen (z. B. saisonal, bei Betriebseinsätzen oder wechselnden Einschaltzeiten) und lernen so permanent. Das Modellieren von historischen und Echtzeit-Asset-, Prozess- und Instandhaltungsdaten ermöglicht es, Störungsursachen leichter zu identifizieren, die einmal erlernten Fehlersignaturen auch auf andere Maschinen zu übertragen und im Rahmen von Prescriptive Maintenance entsprechende Maßnahmen zur Vermeidung einzuleiten.

Das Ziel von Saras war es eine Lösung zu implementieren, die präzise Muster von Normalverhalten, Ausfällen und Anomalien erkennt, ein Frühwarnsystem mit signifikanter Vorlaufzeit bis zum tatsächlichen Ausfall bereitstellt und Fehlersignaturen nicht nur ermittelt, sondern auch auf andere ähnliche Assets zur Fehlererkennung anwendet.
Schnelle Implementierung für vier Geräteeinheiten

Das Pilotprojekt konnte innerhalb weniger Wochen umgesetzt und systemweit skaliert werden. Dazu trug auch das schnelle Erstellen der Failure Agents bei, die speziell auf das Erkennen von Fehlern in vier Geräteeinheiten trainiert wurden:

  • Förderpumpen – pumpt die Flüssigkeits-Chargen von anderen Anlagen zum Austauschzug;
  • Waschölpumpen – recycelt das vom Separator kommende Waschöl in Richtung Mischer;
  • Make-up Wasserstoffverdichter – stellt die H2 Nachspeisung aus der Wasserstoffversorgung zum
  • Hauptaustauschzug sicher und
  • Recycling-Kompressoren – recycelt das vom Austauschzug kommende H2.

Die Agenten identifizierten den spezifischen Fehlermodus genau – und zwar ohne „False-Positives“. Für einen Kolbenkompressor beispielsweise erreicht die Genauigkeit der Vorhersage 91% bei einer Vorlaufzeit von 30 Tagen. Die erlernte Fehlersignatur konnte zudem auf zwei andere Maschinen zur Zuverlässigkeitsprüfung übertragen werden und den Ausfall eines Ventils auf Grund hoher Austrittstemperatur (39 Tage Vorlaufzeit) sowie den Austausch eines Ventils auf Grund eines Instrumentenausfalls (25 Tage Vorlaufzeit) vorhersagen. AspenMtell verarbeitete dabei 52 Millionen Sensordaten ein, einschließlich Zustands- und Prozessdaten. Die Wartungshistorie umfasste 17 Problemklassifizierungscodes. Das Team überprüfte 163 Qualitätsprobleme (z. B. schlechte oder fehlende Werte) und verglich diese mit der Arbeitsauftragshistorie der vier Geräteeinheiten, darunter 340 frühere Arbeitsaufträge.

Insgesamt wurden im Pilotprojekt Fehler und Störungen in den vier Geräteeinheiten deutlich früher erkannt. Dazu gehören:

  • erhöhte Ventiltemperatur: 36 Tage,
  • Austausch einer Öldichtung: 45 Tage,
  • Austausch einer Pumpendichtung: 33 Tage sowie
  • Austausch einer Gasdichtung: 24 Tage.

Dank der erheblichen Vorlaufzeiten von durchschnittlich 10 Tagen lassen sich ungeplante Stillstandzeiten in der Raffinerie langfristig reduzieren. Das wirkt sich auch auf den Umsatz aus: So geht Saras von einem Anstieg von 1 bis 3% aus, während die Wartungs- und Betriebskosten um 1 bis 5% sinken.

 

Schrittweise zum Erfolg

Das Beispiel Saras ist nur ein Beispiel wie Machine Learning zur Optimierung von Anlagen genutzt werden kann. Datengestützte Anwendungen tragen auch wesentlich zur Entscheidungsfindung bei und unterstützen Ingenieure, Scheduler, Betreiber und Wartungskräfte branchenübergreifend bei ihrer Arbeit. Automatisierte Simulations-Tools in modernen Raffinerien können die in der Cloud verfügbaren Rechenleistung nutzen und so mehrere 1.000 verschiedene Szenarien der Prozessabläufe simulieren, um den optimalen Bedarf an Rohöl für die Verarbeitung schnell und präzise zu ermitteln. Diese Ergebnisse auszuwerten, einzuplanen und letztendlich Entscheidungen zu treffen ist ohne technische Hilfe für das Personal so gut wie unmöglich. Analytische Lösungen können hier unterschiedliche Optionen priorisieren und wesentlich schneller bessere Empfehlungen über die nächsten Schritte abgeben.

Darüber hinaus muss das Minimieren von Ausfällen auch als Sicherheitsfaktor gesehen werden. Lassen sich technische Probleme in mechanischen Anlagen frühzeitig erkennen, können Unfälle reduziert und das Arbeiten auf Raffinerien hinsichtlich Gesundheit, Sicherheit und Umwelt (GSU) verbessert werden. Digitale Technologien werden hier auch in Zukunft eine entscheidende Rolle bei der Förderung von Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit spielen.

Die Technologien rund um Machine Learning, Algorithmen und Analytik haben mittlerweile einen ausreichenden Reifegrad erreicht und stehen integriert in nutzerfreundlichen Anwendungen zur Verfügung. Dem Einsatz in Anlagen und Fabriken zur predictive Maintenance steht damit der Weg frei. Für Betreiber heißt es nun, die richtigen Fragen zu stellen: Wie lassen sich digitale Technologien auf meine anlagenspezifische Bedürfnisse ausrichten? Wo erzielen die Lösungen die größte Wirkung? Sind diese Fragen geklärt, kann mit der Implementierung begonnen werden.

Ron Beck ist Energy Industry Marketing Director bei AspenTech.

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