Losgröße 1 in Produktion und Handel

 Losgröße 1 in Produktion und Handel

Je kleinteiliger Produktion und Distribution organisiert sind, desto komplexer werden die vor- und nachgelagerten logistischen Prozesse. Bildschirme und Lichtsignale erleichtern Mitarbeitern die Arbeit am Packplatz. Quelle: Unitechnik

Die Automatisierung und Vernetzung in der Industrie macht es möglich: Immer mehr Kunden erwarten das Angebot von individuell konfigurierten Produkten, die exakt auf die eigenen Wünsche oder Bedürfnisse zugeschnitten sind. Und immer mehr Unternehmen produzieren und versenden „Losgröße 1“. Dieser Trend hat Auswirkungen auf die Logistik. Denn: Je kleinteiliger Produktion und Distribution organisiert sind, desto bedeutender und komplexer werden die vor- und nachgelagerten logistischen Prozesse. Anforderungsgerechte Intralogistiklösungen bilden daher einen wichtigen Grundstein für die erfolgreiche Umsetzung von Losgröße 1.

Die Auswirkungen von Losgröße 1 betreffen nicht nur Produktionsbetriebe, sondern auch Händler, die verstärkt auf eine individuelle Abwicklung und Kommissionierung der Kundenaufträge setzen. „Wir sprechen bei modernen Distributionszentren ebenfalls von Losgröße 1, da hier alle Aufträge aus dem Omnichannel-Handel zusammenlaufen und jedes Paket individuell kommissioniert und gepackt wird. Der Begriff kann also in allen Bereichen angewendet werden, in denen es erforderlich ist, kleinteilig an einen Endkunden zu liefern“, sagt Dr.-Ing. Ralf Lüning, Geschäftsführer der Unitechnik Systems GmbH. Als herstellerunabhängiger Generalunternehmer berät und unterstützt das Unternehmen seine Kunden seit mehr als 40 Jahren bei der Planung, Konzeptionierung und Realisierung von Intralogistiklösungen und kennt die besonderen Anforderungen von Losgröße 1 aus zahlreichen Projekten.

Im Produktionsumfeld koordiniert die Logistik die bedarfsgerechte Bereitstellung des Materials sowie den Transport von Maschine zu Maschine. Diese Aufgabe wird mit zunehmender Individualisierung der Produktion komplexer. „In der Serienfertigung genügt es, dasselbe Teil in ausreichender Menge an den richtigen Arbeitsplatz zu liefern“, erklärt Ralf Lüning. „In der Einzelfertigung müssen hingegen ganz unterschiedliche Teile just in time und just in sequence bereitgestellt werden. Das stellt sowohl die Intralogistik als auch die Datenverarbeitung vor Herausforderungen.“

Neue Rolle für das Logistikzentrum

In Bezug auf die Intralogistik hat das klassische Lager zur Bevorratung großer Warenmengen in Zeiten von Losgröße 1 ausgedient. In der Einzelfertigung fallen geringere Lagermengen an, dafür steigt die Zahl der Transaktionen. Die Folge: Logistikzentren werden flexibler und vielseitiger. In manchen Fällen bietet es sich daher an, ein bestehendes Lager in einer Doppelfunktion als Produktions– und Distributionslager zu nutzen und damit besser auszulasten. Mit der Zahl der Transaktionen im Lager steigen die Anforderungen an den innerbetrieblichen Warentransport. Die Automatisierung und die Flexibilisierung der Lager- und Fördertechnik gewinnen an Bedeutung.

„Wenn ich einmal am Tag eine Gitterbox mit 1.000 Teilen an eine Maschine liefern muss, lässt sich das noch leicht mit dem Gabelstapler bewältigen“, präzisiert Ralf Lüning. „Muss ich aber alle fünf oder zehn Minuten ein neues Teil zuführen, lohnt sich eine Automatisierung schon eher.“ Dies gelingt zum Beispiel mit einem Behälterlager und angebundenen Shuttles. Diese eignen sich besser zur Produktionsversorgung als Regalbediengeräte. Denn Letztere können nur eine beschränkte Artikelmenge ein- und auslagern und sind schlecht skalierbar. Shuttles hingegen lassen sich leicht nachrüsten und ermöglichen in Kombination mit fahrerlosen Transportsystemen (FTS) eine optimale Produktionsversorgung – im Idealfall bis an die Maschine.

Der Unitechnik-Kunde Insta Elektro zum Beispiel belädt in seinem Lager Routenzüge, die in der Produktion an die Maschinen heranfahren und diese bestücken. In einer weiteren Automatisierungsstufe ist dieses Konzept auch mit einem FTS denkbar, sodass eine vollständig automatisierte Materialzuführung erzielt wird.

Logistik und Produktion verschmelzen im Internet der Dinge

Auch die Datenverarbeitung stellt die Fertigung in Losgröße 1 vor Herausforderungen, denn trotz Massenfertigung sind hierbei alle Teile unterschiedlich. Sie müssen daher entlang der gesamten Wertschöpfungskette eindeutig gekennzeichnet und identifizierbar sein. Das gelingt beispielsweise über RFID-Tags am Werkstück, die an jeder Arbeitsstation ausgelesen werden. Darüber hinaus ist die informationstechnische Integration von Produktion und Logistik erforderlich, um Daten zwischen den beiden Bereichen in Echtzeit auszutauschen. Unitechnik hat mit dem Lagerverwaltungssystem (LVS) UniWare und dem Fertigungsleitrechner (MES) UniCAM zwei selbst entwickelte Lösungen zur Lagerverwaltung und zur Produktionssteuerung im Portfolio.

„Für eine erfolgreiche Einzelserienfertigung dürfen solche Produkte nicht als Insellösungen betrachtet werden“, erläutert Ralf Lüning. „Stattdessen müssen Unternehmen ihr Fertigungsleitsystem mit dem ERP-System und dem LVS verbinden, um die Produktionsversorgung über die gesamte Lieferkette sicherzustellen.“ Das ist in der Einzelfertigung unerlässlich, denn die Bedarfe in der Produktion können sich schnell ändern und die Logistik muss unmittelbar darauf reagieren. Aus Sicht der Datenverarbeitung sollten also alle Elemente entlang der Supply-Chain Informationen miteinander austauschen. Dieses Internet of Things schafft die Grundlage für eine enorme Effizienzsteigerung.

Losgröße 1 in der Handelslogistik

In der Handelslogistik lässt sich Losgröße 1 in Form von Einzelbestellungen fassen. Durch den Trend zu Next-Day- bzw. Same-Day-Delivery nimmt die Anzahl kleinteiliger Bestellungen zu und schlägt sich in wachsenden Sortimenten und geringen Lagermengen je Artikel nieder. Um dabei eine effiziente Auftragsabwicklung zu gewährleisten, spielt die Wahl der Kommissionierlösung eine bedeutende Rolle.

Unternehmen sollten darauf achten, dass die gewählte Technik in der Lage ist, viele unterschiedliche Artikel binnen kürzester Zeit bereitzustellen. Am besten eignet sich dazu die Kommissionierung nach dem Ware-zur-Person-Prinzip, bei dem die Artikel in Behältern direkt am Arbeitsplatz bereitgestellt werden. Zur weiteren Effizienz- und Qualitätssteigerung kann der Mensch durch Maschinen oder technische Hilfsmittel unterstützt werden: Eine schnelle Bereitstellung von Artikeln aus hochdynamischen Kleinteilelagern, eine Fachteilung von Behältern, die visuelle Unterstützung des Kommissionierers und die Kontrollwiegung sind nur einige der Maßnahmen, die den Kommissioniervorgang schnell und sicher gestalten. Zukünftig werden vermehrt auch Roboter den Menschen bei seiner Arbeit unterstützen.

Der Unitechnik-Kunde Soennecken bewältigt die steigende Sortimentsvielfalt durch die Integration eines robotergeführten AutoStore-Lagers. Die zehn Roboter erreichen einen Durchsatz von 250 Behältern pro Stunde und sorgen so dafür, die 6.000 zusätzlichen Artikel des Soennecken-Sortiments auftragsbezogen und schnell an den Kommissionierplätzen bereitzustellen.

Chancen für neue Geschäftsmodelle

Mit den produktionstechnischen und logistischen Veränderungen durch Losgröße 1 sind nicht nur Herausforderungen verbunden, sondern es tun sich auch neue Chancen auf. Die Individualisierung von Leistungen in Produktion und Distribution führt zur Veränderung und Erweiterung von Geschäftsmodellen. Um trotz vieler kleinteiliger Bestellungen kurze Lieferzeiten zu ermöglichen, senden Hersteller zum Beispiel vermehrt direkt an den Endkunden. Moderne Online-Shops mit Produktkonfiguratoren ersetzen dabei vielfach die Beratungskompetenz des Fachhandels. Die Logistik wird zur Kernkompetenz von Produzenten.

Unitechnik unterstützt seine Kunden auf Wunsch bei der Erschließung des Individualvertriebs. Das gelingt zum Beispiel durch die Anpassung der Intralogistik an die Anforderungen der Bearbeitung kleinteiliger Bestellungen. So können etwa eigene Läger bzw. Lagerbereiche eingerichtet werden, aus denen ausschließlich einzelne Teile kommissioniert werden. Der Versand kann dann besonders zeitnah erfolgen. Auf diese Weise realisieren Unternehmen trotz Massenproduktion eine schnelle Versorgung der Endkunden in Losgröße 1.

Value-Added-Services erhöhen Wertschöpfung

Ein weiterer Trend im Kontext von Losgröße 1 ist die Ergänzung von Produktion und Versand um weitere Dienstleistungen. So verantwortet der Unitechnik-Kunde Berg Apotheke nicht nur den Versand von Medikamenten und Medizinprodukten, sondern stellt auf Wunsch auch Mischungen oder Dosierungen für Kunden her und übernimmt die individuelle Etikettierung. Das eigene Geschäftsmodell wird damit um einen weiteren Wertschöpfungsschritt angereichert. Das ermöglicht ein ausgefeiltes Logistikkonzept mit hohen Sicherheitsstandards und engmaschigen Qualitätskontrollen.

So werden die Mitarbeiter beispielsweise über Put-to-Light-Anzeigen und Wearables durch den Kommissionier- und Packprozess geleitet. „Was Produkte und Dienstleistungen betrifft, stehen die größten Veränderungen von Industrie 4.0 und Losgröße 1 noch bevor“, ist Ralf Lüning sicher. „Wir können unseren Kunden nicht abnehmen, ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell zu finden. Aber wir können mit der Planung und Umsetzung einer nachhaltigen Logistiklösung einen wichtigen Beitrag zu ihrem Geschäftserfolg leisten.“ (rhh)