Ausländische Investitionen in Deutschland steigen auf Rekordniveau

 Ausländische Investitionen in Deutschland steigen auf Rekordniveau

Auch deutsche Unternehmen haben sich keineswegs von Großbritannien abgewendet, sondern investieren dort weiter in großem Umfang: Insgesamt 101 Investitionsprojekte deutscher Unternehmen in Großbritannien wurden 2017 gezählt, das waren zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Bild: Forex

Trotz des bevorstehenden Brexits setzen ausländische Unternehmen weiter auf den Standort Großbritannien: Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Investitionsprojekte ausländischer Firmen in Großbritannien um sechs Prozent auf 1.205. Damit belegt das Land weiter den ersten Platz im europäischen Standortranking. Deutschland liegt mit 1.124 Projekten und einem Anstieg um ebenfalls sechs Prozent auf dem zweiten Rang. Das sind Ergebnisse einer Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young) zur Attraktivität des Wirtschaftsraums Europa und zu tatsächlichen Investitionsprojekten ausländischer Unternehmen in Europa – dabei werden Investitionsprojekte in 51 europäischen Ländern erfasst.

Bei der Zahl der im Zuge dieser Investitionen geschaffenen Arbeitsplätze liegt Großbritannien sogar noch weiter vor Deutschland: Insgesamt wurde die Schaffung von knapp 50.200 Stellen angekündigt – auch in dieser Disziplin belegt Deutschland mit gut 31.000 neuen Arbeitsplätzen den zweiten Rang.

Hauptgrund für das starke Abschneiden Großbritanniens ist das nochmals gestiegene Engagement US-amerikanischer Unternehmen in Großbritannien, die ihre Investitionen um 16 Prozent auf insgesamt 334 Projekte erhöhten. Die investitionsfreudigen US-Firmen, die bevorzugt im Vereinigten Königreich investieren, sind damit auch dafür verantwortlich, dass Großbritannien weiter den Spitzenplatz im Europa-Ranking einnimmt – für Unternehmen aus anderen Teilen der Welt ist hingegen Deutschland der Top-Standort in Europa.

Europa  bleibt wichtigster Handelspartner Großbritanniens

Das unterstreicht auch eine Image-Befragung unter Managern internationaler Konzerne, für die Deutschland die Top-Adresse in Europa ist: In einer weltweiten Umfrage unter 505 Unternehmen nannten 66 Prozent Deutschland als einen von drei Top-Investitionsstandorten in Europa. Dahinter folgen Frankreich mit 56 Prozent der Nennungen und Großbritannien mit 52 Prozent.

„Das große Vertrauen, das gerade amerikanische Unternehmen in den Standort Großbritannien setzen, ist bemerkenswert“, kommentiert Hubert Barth, Vorsitzender der Geschäftsführung von EY in Deutschland, diese Ergebnisse. „Offenbar setzen viele Unternehmen trotz der schwierigen Brexit-Verhandlungen auf eine Einigung, die Unternehmen aus Großbritannien auch künftig einen Zugang zum europäischen Binnenmarkt ermöglicht – denn Europa dürfte langfristig der mit Abstand wichtigste Handelspartner Großbritanniens bleiben.“

Auch deutsche Unternehmen haben sich keineswegs von Großbritannien abgewendet, sondern investieren dort weiter in großem Umfang: Insgesamt 101 Investitionsprojekte deutscher Unternehmen in Großbritannien wurden 2017 gezählt, das waren zehn Prozent mehr als im Vorjahr. „Durch das schwache Pfund hat Großbritannien zwischenzeitlich als Investitionsziel und als Basisstandort für exportierenden Unternehmen sogar an Attraktivität gewonnen“, beobachtet Barth. „Und auch der britische Markt bleibt ein interessanter Absatzmarkt, auf dem beispielsweise die großen deutschen Discounter Marktanteile gewinnen und entsprechend stark investieren.“

Deutsche Konzerne sind die größten europäischen Investoren

Deutsche Unternehmen spielen eine wichtige Rolle bei der aktuellen Erholung des europäischen Arbeitsmarkts: Fast 55.700 neue Arbeitsplätze wurden im vergangenen Jahr von deutschen Unternehmen bei ihren Investitionsprojekten im europäischen Ausland geschaffen – zu mehr Stellen führten nur die Investitionen von US-Unternehmen (80.000).

Hauptinvestitionsziele deutscher Unternehmen waren im vergangenen Jahr Frankreich (148 Projekte), Großbritannien (101) und die Türkei (43). Während die Investitionsaktivität in der Türkei deutlich gestiegen ist, ging die Zahl der Projekte in Russland und Polen jeweils um etwa ein Drittel zurück. In Ländern wie Tschechien, Ungarn, Österreich, Bulgarien, der Slowakei und auch der Türkei waren deutsche Unternehmen im vergangenen Jahr die mit Abstand größten Investoren.

„Europa profitiert derzeit erheblich von der Wirtschaftskraft Deutschlands und der hohen Investitionsbereitschaft deutscher Unternehmen“, stellt Bernhard Lorentz, Partner bei EY und Leiter des Bereichs Government & Public Sector für Deutschland, die Schweiz und Österreich, fest. „Das Engagement der deutschen Unternehmen ist anhaltend groß – mit positiven Auswirkungen auf die Beschäftigung in den Zielländern“. Neben den wichtigen Märkten Frankreich und Großbritannien ziehe es deutsche Unternehmen vor allem in die osteuropäischen Länder, zu denen inzwischen sehr starke wirtschaftliche Bindungen beständen. Nachdem allerdings deutsche Unternehmen in Russland 2015 und 2016 die wichtigsten Investoren gewesen wären, hätten sie ihr Russland-Engagement 2017 zurückgefahren, so dass China nunmehr der Top-Investor in Russland sei.

Britische Unternehmen entdecken den Investitionsstandort Europa

Während sich französische Unternehmen mit Investitionen im europäischen Ausland zurückhielten und nur 297 Projekte durchführten – elf Prozent weniger als im Vorjahr –, haben britische Unternehmen ihr Engagement im vergangenen Jahr deutlich verstärkt: Die Zahl der Investitionen britischer Unternehmen in Europa kletterte um 35 Prozent auf 464 – so viel wie nie zuvor. Hauptnutznießer der gestiegen Investitionsbereitschaft waren Deutschland, wo 110 Investitionen britischer Unternehmen gezählt wurden – 83 Prozent mehr als 2016 –, und Frankreich, wo die Zahl der britischen Investitionen um 46 Prozent auf 79 stieg.

„Für britische Unternehmen, die dauerhaft einen Marktzugang zu Europa benötigen, stellt der Brexit ein echtes und nach wie vor kaum kalkulierbares Risiko dar“, beobachtet Lorentz. Der ungewisse Ausgang der aktuellen Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU veranlasse derzeit viele britische Unternehmen, ein Standbein auf dem Kontinent auf- beziehungsweise auszubauen. Deutschland und Frankreich als die beiden wichtigsten Volkswirtschaften auf dem Kontinent profitierten besonders stark und dürften auch in den kommenden Jahren bevorzugte Investitionsziele britischer Unternehmen sein.

Investoren loben Deutschland – wünschen sich aber bessere Digitalinfrastruktur

Aus Investorensicht punktet der Standort Deutschland vor allem mit dem Qualifikationsniveau der Arbeitskräfte, der Verkehrsinfrastruktur sowie mit dem stabilen politischen und rechtlichen Umfeld. Etwa vier von fünf Managern bewerten diese Standortfaktoren hierzulande als insgesamt attraktiv. Über die deutsche Standortpolitik fällen derzeit 74 Prozent der ausländischen Manager ein positives Urteil – davon äußern sich 21 Prozent uneingeschränkt zustimmend. Allerdings schneidet Deutschland bei einigen wichtigen Kriterien in diesem Jahr schlechter ab als im Vorjahr. So bewerten aktuell nur noch 66 Prozent der Befragten die Telekommunikationsinfrastruktur in Deutschland positiv – vor einem Jahr lag der Anteil noch bei 76 Prozent, im Jahr 2016 sogar bei 84 Prozent.

„Deutschland hat insbesondere bei der Breitbandversorgung Nachholbedarf und liegt im europäischen Vergleich nur im Mittelfeld – für einen Hightech-Standort ist das zu wenig, zumal es bei der Glasfasertechnik in Deutschland noch deutlich schlechter aussieht“, betont Barth. Investoren erwarteten von einem Standort wie Deutschland, bei der digitalen Infrastruktur zur Weltspitze zu gehören. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, brauche es in Deutschland flächendeckend sehr schnelle Internetanschlüsse und eine echte Investitionsoffensive. Sonst würden Zukunftstechnologien und digitale Geschäftsmodelle anderswo entwickelt.

Digitale Infrastruktur wird schlechter

Bereits heute besteht unter Investoren eine gewisse Skepsis in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit des Digitalstandorts Deutschland: Nur 15 Prozent der befragten Manager gehen sicher davon aus, dass digitale Geschäftsmodelle am Standort Deutschland leicht vorangetrieben werden können – vor einem Jahr waren es noch fast doppelt so viele (28 Prozent). Weitere 53 Prozent (Vorjahr: 42 Prozent), halten dies für wahrscheinlich.

„Für Deutschland liegen an der Schnittstelle von Old und New Economy große Chancen, aber auch große Herausforderungen“, fasst Barth zusammen. „Es gilt, die derzeitige Stärke der deutschen Industrie zu unterstützen und gleichzeitig die Weichen mutig in Richtung Digitalisierung zu stellen“. Dass die digitale Infrastruktur in Deutschland von Jahr zu Jahr schlechter bewertet werde, sollte zu denken geben. Hier sei eine Investitionsoffensive nötig, die erstklassige Rahmenbedingungen für eine zunehmend digitale Wirtschaft biete. Das sei eine der vordringlichsten Aufgaben für die neue Bundesregierung. (ig)