Potenzial im Kundenservice weitgehend ungenutzt
Das Schlagwort der „Servicewüste Deutschland“ wirkt inzwischen arg abgegriffen, hat sich doch vermeintlich so vieles geändert. Doch die Untersuchung „Wertorientierter Service“ der Strategieberatung Arthur D. Little kommt zu dem Schluss, dass integrierter Kundenservice nach wie vor eher die Ausnahme als die Regel ist. Eine der zentralen Erkenntnisse der Studie ist die Tatsache, dass dieser Kritikpunkt branchenübergreifend gilt.
Vor allem Großunternehmen haben demnach enormen Verbesserungsbedarf beim ganzheitlichen Umgang mit Kunden an ihren Interaktionskanälen wie Hotline, Self-Service Tools im Web, Filialen/Shops und Außendienst. „Kunden sind heute anspruchsvoller und verwöhnter denn je“, beschreibt Thiemo Rehländer, Leiter des Geschäftsbereichs Financial Services Central and Eastern Europe bei Arthur D. Little. Zum einen würden sie in einer Vielzahl von Kundenbindungsprogrammen verwöhnt, andererseits sei ihnen bewusst, dass in allen Branchen mit harten Bandagen um jeden einzelnen Kunden gekämpft werde. „Im Zweifel wissen sie, dass es das gleiche Angebot vermutlich nur wenige Schritte weiter günstiger gibt“, so Rehländer weiter.
An dieser Stelle kommt der Kundenservice als zentraler Dreh- und Angelpunkt zur Kundenbindung ins Spiel. In einer Studie untersuchten die Berater 40 Großunternehmen auf die Fragestellung hin, wie ganzheitlich der Kundenservice die einzelnen Bereiche für den Kunden verzahnt und wie das Zusammenspiel der unterschiedlichen Kanäle wie Außendienst, Hotline oder Internet gestaltet ist, über die der Kunde mit dem Unternehmen kommuniziert. Besonders wichtig war den Beratern auch die Fragestellung, inwieweit Kundenservice in der Unternehmensstrategie verankert ist und wie die einzelnen Kanäle geführt werden.
Der Hintergrund: Man wollte den Status Quo in Deutschland erkunden. Denn während Unternehmen in den angelsächsischen Ländern zusehends dazu übergehen, Kunden eine einzige Schnittstelle für all ihre Fragen und auch insgesamt integrierten Service zu bieten, zeigt sich in Deutschland ein anderes Bild. „Viele Unternehmen“, so Thiemo Rehländer, „denken bei Kundenservice an ihre Hotline oder ihr Callcenter und vergessen dabei, dass ein Servicecenter zwar den Kontakt zum Kunden pflegt, das Thema Kundenservice damit aber nicht erledigt ist“. Sie müssten vielmehr überlegen, wie das Thema strategisch und ganzheitlich im Betrieb verankert werden könne. Das sei umso erstaunlicher, da Kundenservice insbesondere in Zeiten der Krise ein vorrangiges Thema sein müsse.
Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit
„Die Erhöhung der Kundenzufriedenheit bei gleichzeitiger Senkung der Abwanderungs- und Kündigungsraten steht als Hauptziel im Zentrum des Kundenservicemanagements“, kommentiert Matthias Riveiro, Principal bei Arthur D. Little und zuständig für die Studie, die zentralen Ergebnisse. „Allerdings hapert es mit der Umsetzung.“ So gebe es bei vielen Unternehmen eine große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Beispielsweise hätten nur wenige Unternehmen die Individualisierung von Dienstleistungen auf Basis der Kundenwertigkeit entwickelt, indem sie profitablen Kunden einen Premium-Service anböten. Verbesserungspotenzial bestehe auch bei der Steuerung von Serviceleistungen gegen Entgelt („pay for service“) und beim leidigen Thema Hotline. So lasse sich der Kundenservice auch dadurch verbessern, dass man weniger Hotline-Angebote bereithalte und dafür mehr intelligente Selfcare-Anwendungen böte.
Überraschend unzureichend verankert sind nach den Ergebnissen der Studie bislang auch systematische Versuche zum Cross-Selling, also bestehenden Kunden andere oder hochwertigere Produkte anzubieten. Nur wenige der befragten Unternehmen bündeln ihr Produkt- und Kundenwissen, um es anschließend gewinnbringend einzusetzen. „Auf lange Sicht sollten die verschiedenen Abteilungen der Unternehmen eine übergreifende Kundenservicestrategie und ein abgestimmtes Management der Kanäle verfolgen“, rät Riveiro. Es verwirre, wenn Kunden am Infoschalter, an der Hotline, in der Filiale, beim Außendienstmitarbeiter oder im Internet unterschiedliche Formen und Qualitäten des Kundenservices erlebten. Dies konterkariere die Ansätze der meisten Unternehmen, an anderen Stellen ganzheitlichen Service und ein einheitliches Markenbild zu entwickeln. Dabei gelte es zu beachten, dass der Kundenservice nicht vereinheitlicht werden müsse, sondern zentral als Strategie im Unternehmen zu verankern und zu steuern sei. „Ein abgestimmter integrierter Kundenservice muss nicht in einem standardisierten, an allen Kanälen uniform ausgestalteten Service münden“, so Matthias Riveiro weiter. „Keine einheitliche, sondern eine aufeinander abgestimmte Service-Qualität ist entscheidend“.
Eckdaten der Studie
Die Erhebung war branchenübergreifend ausgelegt und richtete sich vorwiegend an die Unternehmensleitung bzw. Kundenservicemanager ausgewählter und großer mittelständischer Unternehmen. Es haben sich über 40 Unternehmen, von denen über 66 Prozent einen Umsatz von über einer Mrd. Euro haben, aktiv im Zeitraum April bis Juni 2009 an der Studie beteiligt. Sie kann hier heruntergeladen werden. (ig)