Übernahmefieber in den Industrie-4.0-Branchen

 Übernahmefieber in den Industrie-4.0-Branchen

Im ersten Halbjahr 2017 fanden demnach weltweit 2.595 Unternehmens-transaktionen in den für Industrie 4.0 relevanten Branchen Maschinenbau, High-Tech, Produktion und IT statt. Bild: Siemens

Die Digitalisierung und der Trend zu Industrie-4.0-Lösungen entwickeln sich zu einem  Treiber des M&A (Mergers & Acquisitions)-Geschehens. Bei Industrie- und IT-Unternehmen steigt der Appetit auf Unternehmensübernahmen. Dabei geraten deutsche Unternehmen aus Industrie 4.0-relevanten Bereichen  in den Fokus internationaler Investoren. So eines der Ergebnisse einer aktuellen Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernes & Young, die den weltweiten Transaktionsmarkt in den Industrie-4.0-Branchen Maschinenbau, High-Tech, Produktion und IT im Zeitraum Mitte 2014 bis Mitte 2017 untersucht hat.

Im ersten Halbjahr 2017 fanden demnach weltweit 2.595 Unternehmenstransaktionen in den für Industrie 4.0 relevanten Branchen Maschinenbau, High-Tech, Produktion und IT statt – das waren sechs Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Bei knapp jeder dritten Transaktion wurden Unternehmen durch ausländische Investoren erworben. Im Fokus stehen dabei US-amerikanische und deutsche Unternehmen: So wurden 196 US-amerikanische und 113 deutsche Unternehmen aus den genannten Branchen von ausländischen Investoren gekauft. Großbritannien und Kanada belegten im ersten Halbjahr mit 72 respektive. 48 Transaktionen die Plätze drei und vier im Ranking der wichtigsten Zielländer.

Während unter dem Strich deutlich mehr US-Unternehmen im Ausland zukauften als umgekehrt aus dem Ausland aufgekauft wurden, ergibt sich für den Industrie-4.0-Standort Deutschland ein negativer Saldo: So haben im ersten Halbjahr 82 deutsche Unternehmen Akquisitionen im Ausland durchgeführt – im selben Zeitraum wurden allerdings 113 deutsche Unternehmen von ausländischen Investoren übernommen. Für die vergangenen drei Jahre summieren sich die Übernahmen deutscher Unternehmen im Ausland auf 454. Diesen Transaktionen stehen 596 von ausländischen Konzernen übernommene deutsche Unternehmen gegenüber. Für kein anderes Land der Welt ergibt sich ein derart großes Ungleichgewicht zwischen Aufkäufen durch ausländische Unternehmen und Zukäufen im Ausland. Großbritannien folgt mit 126 Transaktionen vor Italien mit einem negativen Saldo von 118 Transaktionen. Umgekehrt ergibt sich für die Standorte USA, Japan und China ein deutlich positiver Saldo von 438, 199 beziehungsweise 147 Transaktionen.

Viele Unternehmen haben große Digitalisierungsprogramme aufgelegt

„Die Digitalisierung hat die Industrie längst voll erfasst und entwickelt sich zu einem der wichtigsten Treiber auf dem M&A-Markt“, berichtet Dr. Dierk Buß, Partner bei Ernest & Young und Autor der Studie. Während etablierte Industriekonzerne versuchten, zusätzliche IT-Kompetenzen zuzukaufen, übernähmen auf der anderen Seite Technologiekonzerne verstärkt Industrieunternehmen, um sich Know-how in den Bereichen Produktion sowie Forschung und Entwicklung zu sichern. Ziel vieler solcher Transaktionen sei, es in der digitalisierten Produktion der Zukunft – Stichwort Industrie 4.0 – eine wichtige Rolle zu spielen. Viele Unternehmen – vor allem aus endkundennahen Bereichen – hätten inzwischen große Digitalisierungsprogramme aufgelegt, und zunehmend folgten auch Unternehmen aus nachgelagerten Wertschöpfungsstufen. Zwar sei eine organische Transformation grundsätzlich sinnvoll, aber angesichts der Geschwindigkeit des technologischen Wandel seien Zukäufe häufig unerlässlich, um Technologien und Köpfe zu sichern und am Puls der neuen Wertschöpfung zu bleiben.

Ebenfalls sehr aktiv sind nach Aussage der Studie Finanzinvestoren, vor allem wenn es darum geht Unternehmen aus verschiedenen Segmenten zusammenzuführen und zu schlagkräftigen Anbietern neuer digitaler Industrielösungen zu formen. Immerhin jede fünfte Transaktion weltweit geht derzeit auf das Konto der Private Equity-Häuser. „Die Etablierung von Industrie 4.0-Lösungen wird den klassischen Produktionsprozess revolutionieren – das ist allen beteiligten Playern klar“, erläutert Michael Kunz, Leiter des Private Equity Geschäftes in Deutschland, Schweiz und Österreich bei Ernest & Young. „Daher sehen wir derzeit einen Trend zu branchenübergreifenden Unternehmenstransaktionen, die es in früheren Jahren nur selten gab. Hier wachsen Branchen zusammen, zukünftige Chancen werden verteilt, neue Player werden entstehen.“

Standort Deutschland für ausländische Investoren attraktiv

Fündig werden die akquisitionswilligen Investoren vor allem in den USA und Deutschland: Knapp jede vierte grenzüberschreitende Akquisition in den vier analysierten Branchen hatte in den vergangenen drei Jahren ein US-amerikanisches Unternehmen zum Ziel, bei 14 Prozent der Transaktion wurde ein deutsches Unternehmen gekauft. In allen vier untersuchten Branchen zählen deutsche Unternehmen zu den Top 3 Investitionszielen weltweit. So wurden im Maschinenbau in den vergangenen drei Jahren 266 deutsche Unternehmen von ausländischen Investoren gekauft – nur in den USA wurden mehr Unternehmen von ausländischen Investoren übernommen (292).

EY-Partner Kunz wertet die hohe Zahl an Übernahmen deutscher Unternehmen durch ausländische Käufer als Bestätigung für die Attraktivität deutschen Industrie-Know-hows: „Made in Germany hat in der Industrie nach wie vor einen hervorragenden Ruf. Deutsche Unternehmen verfügen vielfach über genau die Schlüsseltechnologien, die die Basis für Industrie-4.0-Anwendungen sind und sind damit ein hochgradig attraktives Investitionsziel.“

Dass allerdings die Zahl der Zukäufe deutscher Maschinenbauer im Ausland mit 182 so deutlich – um knapp ein Drittel – niedriger liegt als die Zahl der von ausländischen Käufern erworbenen deutschen Maschinenbauer, gebe zu denken. Die deutschen Unternehmen aus den Industrie-4.0-Branchen seien zwar am Transaktionsmarkt durchaus aktiv und stellten immerhin die weltweit zweitaktivste Käufernation bei grenzüberschreitenden Transaktionen. Es falle aber auf, dass in allen Teilsegmenten die Aufkäufe durch ausländische Investoren deutlich überwögen, dass also unterm Strich Unternehmen aus anderen Regionen mehr Zukäufe in Deutschland durchführen als umgekehrt. „Industriepolitisch ist Industrie 4.0 gerade für den Standort Deutschland eines der wichtigsten Zukunftsthemen – da wäre eine noch aktivere Rolle bei der Neuformung und Umgestaltung der Branche wünschenswert – auch um Diskussionen über einen etwaigen Ausverkauf deutschen Know Hows gar nicht erst aufkommen zu lassen“, fordert Michael Kunz.

US-amerikanische und asiatische Unternehmen setzen auf Expansion

Die Analyse des weltweiten Transaktionsgeschäfts in den vergangenen drei Jahren zeigt deutlich, wie stark einige Länder in den Industrie-4.0-Branchen derzeit eine expansive Strategie verfolgen: „Mit ihrer sehr aktiven Investitionsstrategie bauen derzeit gerade US-amerikanische Unternehmen ihre Vorherrschaft in der digitalisierten Wirtschaft aus“, beobachtet Dr. Dierk Buß. Vor allem in der IT-Branche seien US-Konzerne derzeit die weltweit mit Abstand aktivsten Investoren. Asiatische Unternehmen würden eher selten gekauft, träten aber in großem Stil im Ausland als Investor auf.

Angesichts der im kommenden Jahrzehnt anstehenden massiven Umgestaltung der Industrie hält Buß das erhebliche Engagement US-amerikanischer und asiatischer Investoren und die daraus resultierende Stärkung dieser Standorte für höchst relevant: „Im IT-Bereich sind US-amerikanische und asiatische Firmen derzeit weltweit führend – in den Branchen der sogenannten ´Old Economy´ – also in den traditionellen Industriebranchen – gelten hingegen vielfach europäische Unternehmen als tonangebend“. Von den europäischen Industriestandorten Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Schweiz, Italien und Niederlande wiesen allerdings nur die Schweiz und – in geringerem Umfang – Frankreich einen positiven Saldo bei grenzüberschreitenden Unternehmenstransaktionen auf.

Dieses Ungleichgewicht könnte sich zu einem Standortnachteil Europas entwickeln, warnt Buß. „Die Digitalisierung wird nicht nur den Alltag der Menschen, sondern auch viele Branchen revolutionieren.“ Europa befände sich mitten in einer umwälzenden Entwicklung und müsse aufpassen, dass die Wirtschaft von der anstehenden digitalen Revolution in der Industrie nicht auf dem falschen Fuß erwischt werde. (ig)