Die richtigen Fragen sind wichtiger als Algorithmen

 Die richtigen Fragen sind wichtiger als Algorithmen

Moderne Maschinen liefern immer mehr Daten, die sich mithilfe von Industrial Analytics gewinnbringend nutzen lassen. Foto: Arrow – Fotolia

Durch zunehmende Maschinenvernetzung werden in der Fertigung immer größere Datenmengen produziert: „Industrial Big Data“ umfasst eine Vielzahl heterogener Mess- und Maschinendaten wie Temperaturmessungen, Stromverbrauch oder Betriebsdruck. Diese Daten bergen ein immenses Potenzial zur Optimierung von Prozessen, das sich mit Industrial Analytics erschließen lässt.

Industrial Analytics erfasst und analysiert in Echtzeit die Daten- und Sensorströme von Maschinen und Anlagen. Durch intelligente Technologien lässt sich anhand von Zeitreihendaten exakt berechnen, wann z. B. der Verschleiß einer Maschine so hoch ist, dass bestimmte Komponenten ausgetauscht werden müssen. Damit können Vorhersagen zu Ausfällen oder Problemen von Maschinen- und Anlagenteilen getroffen werden – es wird also die Datenbasis für Predictive Maintenance gelegt. Mithilfe der vorausschauenden Wartung können Hersteller, Betreiber oder Techniker frühzeitig Wartungsmaßnahmen einleiten oder rechtzeitig Ersatzteile bestellen, um Stillstände oder Ausfälle von Maschinen oder Anlagen zu vermeiden. Dies reduziert die Kosten in der Instandhaltung und verbessert gleichzeitig den Service nachhaltig.

Die Optimierungskraft von Industrial Big Data

Neben Predictive Maintenance lässt sich mit Industrial Analytics auch die Effektivität von Produktionsprozessen beurteilen oder Produktionsprozesse durch die Identifizierung von Fehlerquellen optimieren: Anhand von Industrial Analytics und der systematischen Datenanalyse erhalten Betreiber und Hersteller valide Entscheidungsgrundlagen zur Optimierung von Fertigungsprozessen, können so ihre Produktivität steigern und sich Marktvorteile verschaffen. Damit Industrial Analytics aber erfolgreich eingesetzt werden kann, sind die richtigen Fragen entscheidend: Was möchte man herausfinden? Was ist die Ursache eines Problems? Wie dringend muss es beseitigt werden? Welche Ersatzteile werden benötigt?

Um die richtigen Fragen stellen zu können, müssen die zu untersuchenden Maschinen, Geräte und Komponenten sowie deren Prozesse verstanden werden. Erst dann lassen sich die geeignete Analysemethode und die entsprechenden Algorithmen auswählen.

Ein Anwendungsbeispiel

Nehmen wir als Beispiel den Bruch eines Auslassventils eines Dieselmotors, aus dem schwerwiegende Folgeschäden für den Motor resultieren können – etwa die Zerstörung des Zylinderkopfes und schließlich des Turboladers. Dieser Schaden lässt sich mithilfe von Industrial Analytics vorhersehen und verhindern. Dafür ist ein grundlegendes Verständnis notwendig, welche Rolle das Ventil im Verbrennungsprozess spielt: Ist das Ventil beschädigt, jedoch nicht zerstört, kann es die Verbrennungskammer nicht mehr perfekt abdichten. Infolgedessen ist der Verbrennungsprozess weniger effizient.

Dieser verschlechterte Wirkungsgrad zeigt sich in einer sinkenden Abgastemperatur. Die Abgastemperatur wird praktischerweise bei modernen Motoren permanent von Sensoren gemessen, d. h. diese Daten sind stets aktuell verfügbar und können für die Problemerkennung herangezogen werden. Somit lässt sich die Prämisse für die Datenanalyse bestimmen – die Feststellung einer Abweichung der Abgastemperatur. Die klare Formulierung des Problems macht es letztendlich leicht, den dafür geeigneten Algorithmus auszuwählen; dazu wird lediglich eine mathematische Funktion zur Bestimmung der erwarteten normalen Abgastemperatur benötigt.

Es gibt auch Simulationsmodelle für derartige Berechnungen, jedoch erfordern diese die experimentelle quantitative Bestimmung physikalischer Prozesskonstanten. Dies ist in der Praxis viel zu teuer und zu aufwändig, weshalb die Daten des tatsächlichen Prozesses im Motor herangezogen werden. Im Rahmen einer Simulation bilden die Konstanten die individuellen Eigenschaften eines bestimmten Motors ab; in den aktuellen Daten der variablen Parameter eines Motors sind diese Informationen jedoch implizit bereits enthalten. Die Bereinigung des Simulationsmodells resultiert in einem vereinfachten empirisch-prädiktiven Modell für die Schätzung der erwarteten Abgastemperatur des Motors. Die Eingabeparameter sind u. a. die Ladelufttemperatur, die Motordrehzahl, die produzierte Abgabeenergie und die Temperatur der Umgebung. Letztere muss den Temperaturveränderungen nachts und tagsüber standhalten. All diese Daten liefert das Motorüberwachungssystem.

Je mehr Daten, desto umfassender die Einblicke

Für eine möglichst vollständige Analyse vernetzter Maschine können noch zahlreiche weitere Informationen herangezogen werden: Gerätedaten wie Maschinentyp und Baujahr, Geschäftsmetadaten (z. B. Service- und Wartungstermine) – im Grunde alles, was an Wissen in Bezug auf die fraglichen Geräte verfügbar ist.

Zusammenfassend sind die Voraussetzungen für den erfolgreichen Einsatz von Industrial Analytics:

  • Verstehen von Ursache und Wirkung
  • Ermittlung eines geeigneten prädiktiven Modells (die Vorhersage normaler Werte ermöglicht die Erkennung abnormaler Werte)
  • Verfügbarkeit der erforderlichen Eingangsdaten
  • Auswahl und Anwendung des geeigneten Algorithmus

Das oben beschriebene Szenario wurde als Teil eines realen Experiments im Zusammenhang mit Daten zu Dieselmotoren entwickelt und erfolgreich analysiert: Die abgeleitete Schätzfunktion detektierte korrekt den Ventilausfall – bereits Wochen vor Eintritt des Schadensfalls.

Mithilfe von Industrial Analytics und unter Einbezug von Künstlicher Intelligenz sowie Maschinellem Lernen werden Betreibern und Technikern die komplexen Algorithmen und Daten quasi übersetzt. Dies hilft dabei, Maschinen sowie deren Verhalten und Prozesse besser zu verstehen und effizienter zu überwachen. Industrial Analytics unterstützt somit die bedarfsgerechte und vorausschauende Wartung von Maschinen, Geräten und Anlagen. Das verhindert Stilllegungen und Ausfallzeiten von ganzen Werken durch geplante Wartungsfenster und erzielt für Betreiber enorme Kosteneinsparungen – wenn sie in der Lage sind, die richtigen Fragen zu stellen!

Ralph Traphöner ist beim Informationsmanagement-Spezialisten Empolis als leitender Berater für die Weiterentwicklung semantischer Technologien verantwortlich.