Chancen und Perspektiven für mittelständische Zulieferer

 Chancen und Perspektiven für mittelständische Zulieferer
Die Zukunft gehört alternativen Antriebskonzepten: Bei Bosch etwa schätzt man, dass das weltweite Produktionsvolumen von Hybrid- und Elektrofahrzeugen bis 2025 auf über 20 Mio. Fahrzeuge ansteigen wird. Große Zulieferer richten sich daher massiv auf die kommende „Revolution“ ein, strukturieren um und entwickeln neue Produkte. Wie aber können KMU angemessen reagieren?

Betrachtet man die Verlautbarungen deutscher Automobilhersteller in den letzten Monate, überwiegt der optimistische Blick auf die elektrische Zukunft der Branche: „Die Zukunft fährt elektrisch“, kündigte etwa VW-Vorstandschef Matthias Müller im Mai auf einem Motorensymposium in Wien an. Dies drückt sich dann auch in der nach dem Dieselskandal erarbeiteten Unternehmensstrategie „Transform 2025“ aus: „Ab 2020 starten wir unsere große Elektro-Offensive. Als Volumenhersteller wollen wir einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dem Elektroauto zum Durchbruch zu verhelfen: Wir zielen nicht auf Nischenprodukte, sondern auf das Herz des Automarktes. Bis 2025 wollen wir eine Million Elektroautos pro Jahr verkaufen und Weltmarktführer in der Elektromobilität sein. Unsere künftigen Elektroautos werden das neue Markenzeichen von Volkswagen“, so Müller im Handelsblatt – eine klare Ansage für die Investitionsschwerpunkte der nächsten Jahre.

Auch BMW-Vorstandsmitglied Peter Schwarzenbauer sagt in einem Interview mit dem Portal „Munich Startup“: „Wir haben eine klare Vision, wie viele unserer Kunden ab 2030 mobil sein werden: autonom, elektrisch und vollvernetzt. Und darauf arbeiten wir bereits heute hin.“

Prognosen bis 2025: Trend eindeutig – Zeitrahmen umstritten

Wie schnell sich die Elektrifizierung der Automobilbranche tatsächlich durchsetzen wird, ist nach wie vor umstritten: Die in der Branche oft herangezogenen Marktprognosen der Analysten von IHS sehen im Jahr 2025 einen Marktanteil hybrider und vollelektrifizierter Neufahrzeuge von ca. 25 % weltweit. Das konkurrierende Analysehaus LMC Automotive ist skeptischer und sieht den Marktanteil dieser Fahrzeuge im Jahr 2025 erst bei 11 bis 12 %. Schaeffler, einer der führenden Automobilzulieferer in Deutschland, plant in seiner zum Jahresbeginn vorgestellten Strategie „Mobilty for tomorrow“ in einem Basis-Szenario mit ca. 28 % neu zugelassener Hybrid- und Elektrofahrzeuge im Jahr 2025. Gleichzeitig berücksichtigt man dort aber auch, dass in einem beschleunigten Umsetzungsszenario, z.B. durch die stärkere Förderung von alternativen Fahrzeugen durch den Staat in wichtigen Absatzmärkten, Hybride und Elektrofahrzeuge im Jahr 2025 bereits 47 % Marktanteil erreicht haben könnten.

Deutliche politische Vorgaben – die Zeichen stehen auf Wandel

Vorangetrieben wird diese Entwicklung nicht nur durch technische Verbesserung bei den Reichweiten und Kostensenkungen bei der Batterietechnik, sondern auch maßgeblich durch eine zunehmende Anzahl von Ländern, die ihre Zulassungsbedingungen für konventionelle Antriebe stark einschränken wollen: So plant z. B. das ölreiche Norwegen, ab 2025 (also schon in ca. 8 Jahren), keine Fahrzeuge mit konventionellen Antrieben mehr zu zuzulassen. Bedenkt man, dass die typischen Entwicklungszyklen der Automobilindustrie für neue Modelle sich im Bereich von drei bis vier Jahren bewegen, dann wird deutlich, dass solche Regelungen bereits in naher Zukunft Auswirkungen auf die Hersteller und damit auch auf die Zulieferer haben werden.

Auch im für deutsche Hersteller sehr wichtigen Absatzmarkt China drängt die Regierung auf die Einführung von alternativen Antrieben: Bereits ab Anfang 2018 werden die dort tätigen Fahrzeugbauer verpflichtet, über ein Punktesystem eine Quote von mindestens 8 % bei Elektro- und Hybridfahrzeugen zu erreichen, ein Jahr später soll der Anteil auf 12 % steigen. Im Falle des Nichterreichens drohen empfindliche Strafzahlungen. Die deutsche Automobilindustrie verhandelt zwar mit der chinesischen Regierung über eine zeitliche Verschiebung dieser Regelung – dass die Quoten kommen, scheint aber zwischenzeitlich klar.

Die britische Regierung plant nach aktuellen Meldungen ab 2040 ein Verkaufsverbot für konventionelle Diesel- und Benzinfahrzeuge. Unter das Verbot sollen interessanterweise auch Hybridfahrzeuge fallen, so dass dann auf der Insel nur noch reine Elektrofahrzeuge absetzbar wären. Diese Bekanntmachung folgt wenige Wochen nach der Bekanntgabe Frankreichs, ab 2040 den Verkauf von Verbrennungsmotoren im Sinne des Klimaschutzes einzustellen.

Waren vor einigen Monaten und Jahren also noch Zweifel angebracht, ob sich alternative Antriebe im Automobilsektor tatsächlich durchsetzen und die politischen Vorgaben über reine Lippenbekenntnisse hinausgehen, stehen jetzt die Zeichen klar und deutlich auf einen massiven anstehenden Wandel.

Große Zulieferer reagieren und passen Strategien an

Große Zulieferkonzerne reagieren aktuell schon deutlich auf diese Entwicklungen und passen ihre Strategien und Investitionsschwerpunkte den sich abzeichnenden zukünftigen Marktbedingungen an. So hat Bosch sein vormals als „Automotive“ bezeichnetes Geschäftsfeld schon vor einiger Zeit in einen übergreifenden Bereich „Mobility“ umgewandelt und verschiebt Investitionsmittel massiv von Komponenten für konventionelle Verbrennungsmotoren hin zu elektrischen Antrieben.

Der Zulieferer Continental treibt im Rahmen des Programms „Mobility redefined“ die Entwicklung von Produkten und Komponenten für die Elektromobilität gezielt voran. Auch das Zulieferunternehmen ZF formierte im vergangenen Jahr eine eigene Einheit für E-Mobility und konzentriert sich darin zunehmend auf zukunftsfähige Produkte im Bereich der Niederspannungssysteme, der Plug-In-Systeme und elektrischen Achsen. Rheinmetall treibt in seiner zukünftigen Produktentwicklung die antriebsneutralen Produkte und Lösungen voran – also Produkte, die unabhängig vom Verbrennungsmotor Umsatzpotenzial versprechen. Beispiele dafür sind Strukturteile, Gehäuse und auch Anwendungen außerhalb des PKW- Segments.

Auch mittelständische Zulieferer sind betroffen – auf allen Ebenen

Analog zu den dargestellten Tendenzen bei den größten deutschen Zulieferern treibt die Frage nach der zukünftigen Positionierung in einem sich stark wandelnden Markt auch zahlreiche mittelständische Zuliefererunternehmen um. Viele Mittelständler, die bislang einen Großteil ihres Umsatzes mit Bauteilen für Getriebe, Motoren, Abgasanlagen oder hydraulischen Funktionen im konventionellen PKW erwirtschaften, stehen vor der Frage, wie sie sich für die Zeit ab dem Jahr 2025 und darüber hinaus rüsten können.

Direkt betroffen von der Umwälzung sind Tier-1-Lieferanten, also direkte Zulieferer von Automobilbauern. Unmittelbare Auswirkungen hat die veränderte Wertschöpfungskette aber zweifelsohne auch auf nachgelagerte Unternehmen, so genannte Tier-2– und Tier-3-Zulieferer. Analysiert man die Stoßrichtungen von Automobilzulieferern angesichts des anstehenden Wandels, zeigen sich drei generische Strategien:

Erschließung nahe liegender Anwendungen im Automotive-Umfeld

Zahlreiche Zulieferer von Bauteilen, die im Rahmen der Verschiebungen im Antriebsmix zukünftig deutlich weniger benötigt werden, planen die Erschließung angrenzender, vergleichsweise ähnlicher Produktmärkte im Fahrzeugbereich. So kann ein Zulieferer, der heute Aluminium-Druckgussteile für den Antriebsstrang liefert, einen Ausbau der Produktpalette um (antriebsunabhängige) Fahrwerksteile erwägen. Das Fahrwerk wird schließlich auch zukünftig eine tragende Rolle im Fahrzeug spielen – die Leichtbau-Kompetenz, die man über Jahrzehnte hinweg im Motoren- und Getriebebereich erworben hat, kann hier gut zum Tragen kommen.

Vorteil dieser Entwicklungsrichtung sind ganz sicher die überschaubaren Investitionen und die Nutzung von vorhandenem Know-how. Risiken können dadurch entstehen, dass zahlreiche Wettbewerber möglicherweise einen sehr ähnlichen Entwicklungspfad wählen werden, was einen deutlich steigenden Preisdruck in den naheliegenden Bereichen nach sich ziehen könnte.

Zugang zu neuen Geschäftsfeldern im Zukunftsfeld E-Mobilität

Durch die Veränderungen im Antriebskonzept zukünftiger Fahrzeuge entstehen ganz neue Zulieferbereiche, die durch innovative Unternehmen rechtzeitig erkannt und erschlossen werden können. So wird sich z.B. der Bedarf im Bereich des Thermomanagements und der technischen Kühlung von Elektrofahrzeugen vervielfachen, da sowohl Batterie als auch Leistungselektronik nur dann effizient arbeiten können, wenn sie in definierten Temperaturbereichen betrieben werden. Hier entwickeln findige Zulieferer bereits heute Lösungen, die in diesem Zukunftsmarkt zum Tragen kommen. Somit ergeben sich neben dem Wegfall konventioneller Produktbereiche durch den Mobilitätswandel durchaus auch neue Chancen für Zulieferunternehmen.

Diversifizierung in angrenzende Mobilitätsfelder und Non-Automotive

„Autonom, elektrisch und vollvernetzt“ sieht BMW wie einleitend zitiert die Zukunft der Mobilität. Dies bedeutet auch, dass mittel- bis langfristig ergänzende Mobilitätskonzepte außerhalb des PKW-Bereichs eine zunehmende Rolle spielen werden. Vorreiter sehen hier z.B. E-Bikes, E-Scooter und Micro-Mobile, aber auch die für den Betrieb von E-Fahrzeugen benötigte Infrastruktur wie Ladesäulen, Einrichtungen zur Erzeugung, Verteilung und Transport von regenerativem Strom als mögliche Märkte der Zukunft.

Diversifizierung in angrenzende Mobilitätsfelder und Non-Automotive

„Autonom, elektrisch und vollvernetzt“ sieht BMW wie einleitend zitiert die Zukunft der Mobilität. Dies bedeutet auch, dass mittel- bis langfristig ergänzende Mobilitätskonzepte außerhalb des PKW-Bereichs eine zunehmende Rolle spielen werden. Vorreiter sehen hier z.B. E-Bikes, E-Scooter und Micro-Mobile, aber auch die für den Betrieb von E-Fahrzeugen benötigte Infrastruktur wie Ladesäulen, Einrichtungen zur Erzeugung, Verteilung und Transport von regenerativem Strom als mögliche Märkte der Zukunft.

Wichtiger Startpunkt: Systematische Markt-, Wettbewerbs- und Trendanalyse

Während große Zulieferer eigene Stabsbereiche besitzen, die sich mit der zukünftigen Strategie und den zugrundeliegenden Marktentwicklungen beschäftigen können, ist der typische Mittelständler in der Regel schlank aufgestellt und erarbeitet strategische Entwicklungsprojekte in kleinen, interdisziplinär besetzten Projektteams.

Ausgangspunkt für die Findung und Weiterentwicklung einer geeigneten Zukunftsstrategie sollte in jedem Fall eine systematische und belastbare Analyse von Marktentwicklungen und Entwicklungstrends im zukünftig angestrebten Geschäftsfeld sein. Eine solche strukturierte Analyse stellt die harten Zahlen und Fakten, neutrale Einschätzungen von Branchenspezialisten und zukünftige Kundenanforderungen dar und vermeidet so teure Fehlschritte in die falsche Richtung.

„Was heute Utopie ist, wird morgen Fleisch und Blut sein“ – der französische Schriftsteller Victor Hugo beschrieb schon im 19. Jahrhundert die Auswirkungen der damals rasant voranschreitenden industriellen Revolution. Eine ähnlich tiefgreifende Entwicklung erwartet die Automobilbranche in den nächsten Jahren. Durch vorausschauende und rechtzeitige Maßnahmen können auch mittelständische Zulieferer von diesen „elektrisierenden“ Trends profitieren.

Matthias Meyer ist Gründer und Inhaber von Meyer Industry Research in München.