Digitalisierung des Recruitings in Europa verläuft schleppend

 Digitalisierung des Recruitings in Europa verläuft schleppend
Wenn es um die Digitalisierung von Recruiting und Talent Management geht, haben europäische Unternehmen einiges aufzuholen. Häufiges Problem: Häufig harmonieren Rekrutierungs- und Geschäftsstrategien nicht miteinander. Das legt eine Studie des Recruiting-Spezialisten Korn Ferry Futurestep nahe, für die im 4. Quartal 2016 weltweit 1 100 Unternehmen befragt worden waren.

Das Handy als Bewerbungs- und Rekrutierungskanal nutzt in Europa gerade einmal ein Fünftel der Unternehmen – im weltweiten Vergleich liegen sie damit deutlich zurück: In Nordamerika (34 %) und Asien (33 %) setzt bereits mehr als ein Drittel der Unternehmen Mobiltelefone als gleichwertiges Medium zur Rekrutierung von Fach- und Führungskräften ein, in Südamerika tut dies jedes vierte Unternehmen.

Auch in anderen Bereichen hat die Digitalisierung in den Personalabteilungen europäischer Unternehmen bisher nur zum Teil Einzug gehalten. So verfügt nur die Hälfte der befragten Unternehmen über ein System zum langfristigen Kontaktmanagement mit Bewerbern, und die Digitalisierung des allgemeinen Geschäftsbetriebs sowie der HR-Abteilungen verläuft oft nicht synchron. Allgemein „experimentieren“ Nord- und Südamerika, Asien sowie die Pazifikstaaten stärker mit neuen, digitalen Werkzeugen und Plattformen.
Aufholbedarf bei Mobiltechnik und Kontaktmanagement
„Geld überweisen, Hotels buchen, Konzerttickets kaufen – all das geht heute problemlos und genauso einfach wie am Computer via Mobiltelefon“, sagt Jan Müller, verantwortlich für das Geschäft von Korn Ferry Futurestep in der EMEA-Region. „Wir beobachten, dass die meisten Unternehmen ihre Internet-Seiten in mobile Formate gebracht haben, teils dort auch ihre Vakanzen aufzeigen. Will sich ein Kandidat dann aber auf eine dieser Vakanzen bewerben, wird die Nutzeroberfläche in den meisten Fällen verlassen. Und er findet sich auf einer nicht für das Smartphone programmierten, wenig intuitiven Bewerberplattform wieder, die eigentlich einmal für den Computerbildschirm entworfen worden ist. So verlieren Unternehmen gerade junge Potenzialträger, die heute vielfach ihre Bewerbungsentscheidung danach ausrichten, welche digitale Kompetenz ein potenzieller Arbeitgeber bereits im Erstkontakt vermittelt.“
Großen Nachholbedarf haben europäische Unternehmen auch bei der Einführung eines IT-gestützten Systems zur Nachverfolgung und zum Kontaktmanagement mit ihren Bewerbern. Nur knapp die Hälfte der Unternehmen in Europa (49 %) verfügt über ein so genanntes „Applicant Tracking System“ (APS). In Nordamerika ist dies bei 77 % der Unternehmen Standard, in Asien nutzen es 46 % der Unternehmen, in Lateinamerika erst 30 %.
„Ein APS ist das Pendant zum CRM, dem Customer Relationship System, mit dem heute so gut wie alle Firmen ihre Kundenbeziehungen managen“, sagt Jan Müller. „In einer Zeit, in der Humankapital, insbesondere in spezifischen Berufsgruppen wie technisch versierten Vertriebsspezialisten, Ingenieuren und IT-Fachkräften immer wertvoller wird, kommt dem Management der Bewerberbeziehungen eine besondere Bedeutung zu. Obwohl erst die Hälfte der befragten Unternehmen in Europa ein solches System implementiert haben, sehen wir hier aber einen deutlichen Trend zur Akzeptanz der notwendigen Einführung einer solchen Software seitens der Unternehmen. In vielen Fällen läuft heute schon die Implementierung oder wird zumindest vorbereitet.“
Europäische Unternehmen zeigen sich wenig experimentierfreudig
Kaum Erfahrung haben europäische Unternehmen bisher mit der automatisierten, IT-gestützten Überprüfung der Referenzen ihrer Bewerber. Nur 8 % nutzen eine solche Software, um einen ersten Eindruck über die Belastbarkeit der Empfehlungsgeber der Kandidaten zu bekommen. In Nord- und Südamerika nutzen dies immerhin bereits jeweils 22 % der Unternehmen, im asiatisch-pazifischen Raum sind es 10 %. „Der Einsatz einer solchen Software steckt weltweit noch in den Kinderschuhen“, sagt Jan Müller. „Fest steht aber: Ähnlich wie bei der Rekrutierung über mobile Endgeräte zeigt Europa sich hier am wenigsten experimentierfreudig. Dadurch drohen im globalen ‚War for Talents’ mittelfristig deutliche Wettbewerbsnachteile.“
Weitere Kennzahlen zum Einsatz von digitalen Werkzeugen im Talent Management europäischer Unternehmen: 46 % nutzen Online-Assessments, 45 % Video-Interviews, 40 % bespielen bewusst Job-Aggregatoren und -suchmaschinen abseits der bekannten Jobportale, 30 % pflegen Talent Communities und 21 % nutzen analytische Werkzeuge und Dashboards in der Rekrutierung.
Geschäfts- und Talent-Strategie meist nicht synchron
„Während die Digitalisierung in vielen Unternehmen in vollem Gange ist, drohen HR und Talent Management den Aufsprung auf den fahrenden Zug zu verpassen. Ein Grund könnte sein, dass es nach wie vor viele Unternehmen nicht schaffen, Talent- und Rekrutierungsstrategie mit der geschäftlichen Strategie in Einklang zu bringen“, meint Jan Müller.
So haben nur zwei von fünf der Befragten (38 %) angegeben, dass sie ihre Rekrutierungsaktivitäten abgestimmt auf die Geschäftsstrategie der nächsten drei Jahre durchführen. Mehr als ein Drittel (35 %) haben nach eigener Aussage keine klare Zielausrichtung hinsichtlich der zu rekrutierenden und entwickelnden Talente.
„Wer Digitalisierung nur in Technologie und Strukturen denkt, dem wird es nicht gelingen, sein Unternehmen wirklich erfolgreich zu verändern. Denn es kommt vor allem darauf an, die Menschen mit der für dieses Projekt zuträglichen Haltung intern wie extern zu identifizieren, zu rekrutieren, zu fördern und langfristig zu halten. Dazu muss die Personalabteilung nicht nur bei allen relevanten strategischen Entscheidungen mit am Tisch sitzen, sondern einen aktiven Part in der Erarbeitung und im Treffen dieser Entscheidungen spielen“, so Jan Müller. „Dazu ist es notwendig, dass Personalchefs ihre Rolle klar definieren: Sie sind weder ausschließlich Menschenbeschaffer noch Umsetzer der Entscheidungen Dritter. Sie sind einer der entscheidenden Faktoren, auf die es in der Digitalisierung ankommt. Diese Rolle sollten sie verstehen, akzeptieren und einfordern – zum Nutzen ihres Unternehmens.“
Xenia von Schröder ist Marketing & Communication Manager bei der Korn Ferry International GmbH in Frankfurt am Main.
http://focus.kornferry.com/report-series-the-talent-forecast-2/