Polen: Längst mehr als eine verlängerte Werkbank

 Polen: Längst mehr als eine verlängerte Werkbank
Polen ist für den deutschen Maschinenbau in den letzten Jahren zu einem wichtigen Handelspartner geworden. Seine Rolle als „verlängerte Werkbank des Westens“ hat das diesjährige Gastland der Hannover Messe längst erweitert – die Qualität der polnischen Betriebe hat sich kontinuierlich verbessert. Deutschland bleibt dabei für Polen der mit Abstand wichtigste Maschinenlieferant.

„Bei der Standortanalyse für eine geplante Investition ist Polen schon seit vielen Jahren eine interessante Wahl für den deutschen Maschinenbau.“ So äußerte sich Yvonne Heidler, Osteuropa-Expertin des Außenwirtschaft-Departments beim Verein Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), im Rahmen einer Informationsreise zur Hannover Messe in Warschau. „Solide Wachstumsraten des polnischen Bruttoinlandsprodukts, attraktive Arbeitskosten, räumliche Nähe zu Deutschland, die Qualität der Zulieferer sowie gut ausgebildete Arbeitskräfte überzeugen“, so Heidler.

Exporte nach Polen steigen weiter
Dies zeigt sich auch in der Länderstatistik des deutschen Maschinenbaus: In der Exportrangliste konnte Polen im vergangenen Jahr Platz 8 behaupten. Insgesamt wurden 2016 Maschinen und Anlagen aus Deutschland im Wert von 5,7 Mrd. Euro in das Nachbarland im Osten geliefert. „Im Vergleich zum Vorjahr stiegen die Ausfuhren damit um 0,9 %“, so Yvonne Heidler. Die Maschinen stammten vor allem aus den Fachzweigen Allgemeine Lufttechnik (11,5 %), Antriebstechnik (8,1 %), Werkzeugmaschinen (7,2 %) und Fördertechnik (6,6 %).
Deutschland ist seit Jahren der wichtigste Maschinenlieferant Polens: Im Jahr 2015 kamen 34,5 % der importieren Maschinen aus der Bundesrepublik, dahinter lagen mit weitem Abstand Italien (10,3 %), China (7,4 %) und die USA (4,7 %). „Neben der Qualität überzeugen deutsche Lieferanten vor allem durch sehr guten Service vor Ort“, erläuterte die VDMA-Expertin.
EU-Mittel sind für viele Branchen Antriebskraft Nr. 1
Das Tempo der Maschinenexporte nach Polen hat sich 2016 zwar deutlich gegenüber dem Vorjahr verlangsamt, als die Ausfuhren noch um 14 % gestiegen waren; der VDMA sieht darin aber keinen anhaltenden Trend. Ursachen waren vielmehr die schleppende EU-Mittelverteilung sowie die Verunsicherung der Unternehmer nach der Wahl der rechtskonservativen Regierung. „Für 2017 stehen die Zeichen wieder auf Wachstum“, prognostizierte Heidler. Grund hierfür sei vorrangig der EU-Fördertopf, aus dem für Polen 82 Mrd. Euro bis 2020 vorgesehen sind. Gefördert werden sollen vor allem der Infrastrukturausbau des Landes sowie Innovationen – was Geschäftschancen in zahlreichen Absatzbranchen des Maschinenbaus eröffnen würde. Eine neue, auf Innovationen abzielende Regierungsstrategie dürfte die Nachfrage nach modernsten Automatisierungs- und Digitalisierungslösungen zusätzlich ankurbeln.
Technologischer Nachholbedarf
In den kommenden Jahren gilt es für die polnische Wirtschaft vor allem, technologisch aufzuholen: Die Roboterdichte etwa (also die Anzahl von Robotern je 10 000 Beschäftigte in der Industrie) ist in Deutschland dreizehn mal höher als in Polen. Insgesamt verläuft die Weichenstellung für Innovationen in Polen noch langsam.
Auch wenn das Interesse an Automatisierung groß ist, scheitern viele kleine und mittelständische lokale Unternehmen derzeit an der Finanzierung. „Mittel- bis langfristig wird der Markt den Automatisierungsprozess jedoch vorantreiben, da die polnischen Arbeitskostenvorteile – vor allem in den Ballungsgebieten – schwinden. Die steigende Beschäftigungsquote sowie die ungünstige demografische Entwicklung verschärfen den Fachkräftemangel und führen somit zu steigenden Gehältern. Damit wird Automatisierung finanziell attraktiver“, so Heidler.
Maschinenbauer aus Deutschland vor Ort stark vertreten
Laut VDMA-Umfrage zu Auslandsniederlassungen waren zum Zeitpunkt der letzten Erhebung (2014) in Polen 113 VDMA-Mitgliedsfirmen mit insgesamt 145 Auslandsniederlassungen vertreten. Darunter waren sowohl Vertriebs- und Serviceniederlassungen als auch Montage- und Produktionswerke. „Zunehmend schwierig gestaltet sich die Suche nach Fachkräften mit technischen Hintergrund und Fremdsprachenkenntnissen. Neben der Personalakquise ist auch die Bindung des bestehenden Personals durch attraktive Weiterbildungsangebote von zentraler Bedeutung“, betonte Heidler.
Beschaffungsmarkt Polen nach wie vor interessant
Die Rolle Polens als eigener Absatzmarkt wächst, da auch polnische Unternehmen als Kunden des Maschinenbaus immer anspruchsvoller werden. Zugleich ist das Land für viele Maschinenbauer aus Deutschland weiterhin wichtig als Beschaffungsmarkt für Teile und Komponenten. Dies belegt auch die deutsche Maschineneinfuhr aus Polen in Höhe von 2,6 Mrd. Euro im Jahr 2016: knapp 70 % entfielen auf Teile und Komponenten und nur rund 30 % auf Komplettmaschinen. Besonders geschätzt wird von deutscher Seite die große Einsatzbereitschaft und Flexibilität polnischer Zulieferer.
Holger Paul ist Leiter Kommunikation und Pressesprecher beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA).