Vernetzte Produktion über die Ländergrenzen hinweg

 Vernetzte Produktion über die Ländergrenzen hinweg

Am Anwendungsfall der Zahnradherstellung erforschen Fraunhofer-Mitarbeiter in einem internationalen Netzwerk mit Experten aus Schweden Industrie-4.0-Lösungen für die vernetzte, adaptive Produktion; Quelle: Zahnrad © Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen WZL, Peter Winandy

Industrie-Unternehmen arbeiten immer öfter an verschiedenen Standorten. Damit wachsen die Ansprüche an die Vernetzung der Produktion und die zentrale Überwachung der Fertigung. Fraunhofer-Forscherinnen und -Forscher haben auf der Hannover Messe gemeinsam mit schwedischen Experten gezeigt, wie sich eine vernetzte Produktion für die Industrie 4.0 sogar über Ländergrenzen hinweg realisieren lässt. Eine besondere Rolle spielt dabei die Steuerung und Überwachung der Maschinen mit dem schnellen 5G-Mobilfunkstandard.

Doch obwohl bei der international verteilten Fertigung überall die gleichen Maschinen stehen und identische Produktionsvorschriften gelten, variiert oftmals die Qualität der Produkte, die in verschiedenen Werken hergestellt werden. Fraunhofer-Expertinnen und -Experten haben deshalb zusammen mit schwedischen Forschungs- und Industriepartnern Produktionsanlagen standortübergreifend vernetzt. Das Ergebnis ist das „Swedish-German Testbed for Smart Production“, in dem künftig neue Technologien für die vollständig vernetzte Produktion entwickelt und geprüft werden können. Ziel ist es, die Produktion zu optimieren und effizienter zu machen.

Um die Vernetzung zwischen verschiedenen Standorten und Ländern zu testen, verteilt sich das Testbed auf drei Standorte – Aachen, Chemnitz und Stockholm. Mit von der Partie sind unter anderem die drei Aachener Fraunhofer-Institute für Produktionstechnologie IPT, für Lasertechnik ILT sowie Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME mit ihrem Leistungszentrum „Vernetzte, adaptive Produktion“, das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU aus Chemnitz, das Powertrain Manufacturing for Heavy Vehicles Application Lab (PMH Application Lab) an der Königlich-Technischen Hochschule in Stockholm, die Fahrzeughersteller Scania und Volvo sowie der schwedische Telekommunikationskonzern Ericsson.

„Damit haben wir viele Partner aus verschiedenen Branchen versammelt, mit denen wir Produktionsumgebungen für die Industrie 4.0 entwickeln und umfassend testen werden“, sagt Jannik Henser, geschäftsführender Direktor des PMH Application Lab in Stockholm. „Ein Schwerpunkt liegt hier auf dem 5G-Mobilfunkstandard, der künftig die Produktionsmaschinen und die Steuerzentrale miteinander verknüpft.“

Schwedisches Testbed

Die ersten Produkte, für die derzeit im schwedischen Testbed eine vernetzte Produktion aufgebaut wird, sind Getriebeteile, die in Nutzfahrzeugen von Scania und Volvo zum Einsatz kommen. An diesem Beispiel, das auch auf der Hannover Messe vorgestellt wurde, wollten die Experten die herkömmliche Produktion gleich in mehrfacher Hinsicht verbessern – unter anderem die Bearbeitung von Metallteilen in Werkzeugmaschinen, in denen ein Werkstück durch den Fertigungsprozess „Wälzschälen“ in ein Hightech-Getriebeteil verwandelt wird.

Bei diesem Prozess wird vom Bauteil, wie der Name schon andeutet, Metall hochpräzise abgeschält. „Es kommt hier auf Präzision im Bereich weniger Mikrometer an“, erklärt Professor Thomas Bergs vom Fraunhofer IPT. „Wälzschälen ist ein sehr dynamischer Prozess. Wenn im Fertigungsprozess Vibrationen entstehen, zum Beispiel, wenn ein Werkzeug verschlissen ist, können in Sekundenbruchteilen Schäden auftreten. Diese Schäden werden in der Regel erst bei der Funktionsprüfung des fertig montierten Getriebes entdeckt, was hohe Kosten nach sich zieht.“

5G ermöglicht adaptive Fertigung in Echtzeit

Befestigt man aber direkt am Werkzeug oder am Bauteil Vibrationssensoren, die ihre Information via 5G-Mobilfunk an die Zentrale senden, kann man schnell eingreifen. „5G ist so schnell, dass die Anlage innerhalb von Millisekunden reagieren kann – die Latenzzeit, die Zeit vom Auftreten der Störung bis zur Reaktion ist damit ausreichend kurz, um Schäden zu verhindern“, erläutert Bergs. 5G hat den großen Vorteil, dass es ohne Kabel auskommt und Informationen dennoch extrem schnell übertragen kann. Bergs: „Bei einem Bauteil, das in der Maschine mit 1000 Umdrehungen pro Minute rotiert, ist ein kabelgebundener Sensor schlicht nicht einsetzbar.“ Dank des 5G-Standards aber werde künftig eine sich selbst anpassende, adaptive Fertigung quasi in Echtzeit möglich.

Treten heute beim Kunden an einem Bauteil Schäden auf, weil das Bauteil fehlerhaft ist, dann ist die Fehlersuche oftmals eine zeitraubende Angelegenheit. Denn nicht immer ist klar, an welcher Stelle der Produktionskette der Fehler entstanden ist. Werden während der Herstellung bereits alle verfügbaren Daten mit Sensoren aufgenommen und in der unternehmenseigenen Cloud gespeichert, ist eine lückenlose Dokumentation der Fertigung möglich. „So lassen sich permanent die Produktionsparameter überwachen und Messdaten aufnehmen. Alle diese Daten werden in einem digitalen Bauteil, dem digitalen Zwilling, gespeichert und sind für Analysen jederzeit verfügbar“, sagt Jannik Henser.

Testumgebung steht als Service zur Verfügung

Für die Industrie-Kunden besteht der Vorteil dieser vernetzten Forschungscommunity mit ihrem Testbed auch darin, dass sie hier Technologien zusammen mit Partnern oder auch Mitbewerbern entwickeln können, ohne dass ihnen jemand in die Karten schaut. Gewissermaßen ist hier eine Entwicklung auf neutralem Boden möglich.

„Zwischen uns und den Industriekunden herrscht eine sehr offene Atmosphäre. Wir sind keine Konkurrenz, sondern das Bindeglied zwischen Produktionsunternehmen und IT-Enablern und wollen gemeinsam mit Ihnen die Produktionsprozesse weiterentwickeln“, sagt Raphael Kiesel, Community Manager des Aachener „International Center for Networked Adaptive Production“, kurz ICNAP, das im Rahmen des Leistungszentrums kürzlich gestartet wurde. „In diesem Sinne ist unseren Partnern auch bewusst, dass hier sämtliche Daten gut aufgehoben sind.“ Ein weiterer Vorteil: Die Testumgebung wird den Industriepartnern als Service zur Verfügung gestellt. Dadurch sparen sie Investitionen in eigene Entwicklungslabore und senken die Ungewissheit und das Risiko gegenüber neuen Technologien. (rhh)

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